Kontrovers: Chemnitz-Inszenierung bei Friedman / Eternal Road III

Ein bescheidenes Contra zur Einschätzung der Chemnitzer Inszenierung von Weills und Werfels „The Eternal Road – Der Weg der Verheißung“ durch Jonathan C. Friedman

Von Thomas Ziegner

Für eine mittelgroße Regionalzeitung, die in Ulm erscheinende „Südwestpresse“, habe ich vor nun bald zwanzig Jahren über die Chemnitzer Aufführung geschrieben. Einen längeren Vorbericht lehnte eine damals in Freiburg erscheinende Sonntagszeitung (Zeitung zum Sonntag) als zu lang und zu hermetisch ab. Ich weigerte mich aber, zu kürzen oder zu vereinfachen. Teile dieses Vorberichts sind dann auf der größten jüdischen Website Europas erschienen, auf www.hagalil.com. Ich kannte ihren Gründer, David Gall (1956-2014). Er besuchte mich in Rottenburg, und wir hatten hitzig-freundschaftliche Diskussionen über die redaktionelle Arbeit…Fast unverändert steht der Text nun auf www.brouillon.art. Schon in der haGalil-Version von 1999 hätte ich gern präzise Fußnoten gehabt (David hatte eine Fußnoten-Allergie), die Quellen angebend. Die Notizen sind mir unterdes verloren gegangen, aber wenigstens die wichtigste Bezugs-Literatur wird nun genannt.

Noch nicht erschienen war damals die eine Fülle wertvollen Materials zusammentragende Arbeit von Jonathan C. Friedman: „The Literary, Cultural and Historical Signicance of the 1937 Biblical Stage Play The Eternal Road. NY, 2004 (The Edwin Mellen Press). Statt einer Rezension: Das Buch von Prof. Friedman ist nützlich für jeden, der sich mit dem Werk beschäftigt und zeigt überdies hoch relevante Schnittstellen zu anderen sozial- und kulturwissenschaftlichen Themenkreisen. Es liest sich mit Vergnügen und Lerneffekten gleichermaßen.

Umso enttäuschender sind Friedmans kurze Passagen über die Chemnitzer Inszenierung 1999 und ihre Rezeption. Die Kostüme haben ihm missfallen (hat er sie gesehen, wenigstens Fotos davon?) das Bühnenbild war ihm zu schlicht, bizarr die ganze Unternehmung, weil sie zu brav die komplizierte Entstehungsgeschichte des Werks reflektiert habe. (p. 123)

Eine Dramaturgie, die darauf verzichtet hätte, die Entstehungsgeschichte und die Zeitgeschichte überhaupt zu reflektieren, wäre aber doch völlig verfehlt gewesen. Die deutschen Pressestimmen, die Friedman aus einem Aufsatz von Tamara Levitz zitiert, stammen von den miserabelsten Blättern der damaligen Zeit, Boulevard das eine (Berliner Morgenpost), übel reaktionär das andere (Die Welt, hat sich inzwischen zum Besseren gewandelt).

Natürlich sogar für Atheisten interessant

Dass einige Autoren schrieben, Reinhardt, Weill und Werfel hätten sich ihres Jüdischseins erst nach dem Aufstieg Hitlers wieder erinnert, scheinen Levitz und Friedman diesen Autoren vorzuwerfen, als sei ihre Behauptung falsch. Aber sie ist doch eher richtig, und Belege daür muss man nicht lange suchen. Nicht nur das Eternal-Road-Trio, sondern Denker und Künstler von Adorno, Theodor W bis Zuckmayer, Carl, waren genötigt, über ihre Abstammung und deren Implikationen neu nachzudenken. Und manche Gojim sollen sich heimlich geniert haben, wenn in ihrer Abstammung kein einziger jüdischer Teil zu finden war.

Friedman verkennt die grimmige Ironie des einzigen ernstzunehmenden deutschen Kritikers, den er zitiert, Hans Klaus Jungheinrich. Der schrieb, Hitler sei ein „unfreiwilliger Zionist“ gewesen, und ohne den Nazismus hätten weder Weill noch Schönberg ihre deutsche beziehungsweise österreichische Identität aufgegeben. Mit letzterem hatte er doch höchstwahrscheinlich Recht.

Meyer W. Weisgal, Ideengeber und Produzent, konzipierte das Werk als Antwort auf den deutsch-nazistischen Staatsterror. Jüdisches Selbstbewusstsein sollte artikuliert werden. Das gelang. Und doch lässt sich das Werk nicht darauf reduzieren. Wie imponierend sind allein die Prophetengestalten des Alten Testaments, Männer, das göttliche Gesetz repräsentierend. Das interessiert auch Gojim; sogar Atheisten. Ernst Bloch dachte über „Atheismus im Christentum, Christentum im Atheismus“ nach. Wäre die Weltliteratur der letzten Jahrhunderte ohne wenigstens bruchstückhafte Kenntnisse der Bibel, inklusive des Alten Testaments also, adäquat verstehbar? Dem überwiegend nichtjüdischen Publikum in Chemnitz jedenfalls gingen Augen und Ohren über. Die Inszenierung war besser als ihr Ruf.