Von der nutzlosen Befreiung

Premiere in Graz: Ariadne et Barbe-Bleue von Paul Dukas

Von Ulrike Aringer-Grau

 

Ulrike Aringer-Grau

Brouillon freut sich, erstmals die Gastautorin Ulrike Aringer-Grau zu begrüßen. Aringer-Grau, geboren 1970, studierte Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Kunstgeschichte in München und Los Angeles. Ihre Magisterarbeit verfasste sie über Ludwig Senfls Metrische Odenvertonungen, die Dissertation beschäftigte sich mit Marianischen Antiphonen und Johann Michael Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und ihren Salzburger Zeitgenossen. Sie veröffentlichte zahlreiche Aufsätze u. a. zur Salzburger Kirchenmusik, zu Richard Strauss und Johannes Brahms.Sie arbeitet als Musikwissenschaftlerin, Lektorin, Herausgeberin („der beliebteste, der gespielteste und genossenste Tonkünstler“ – Studien zum Werk Ignaz Joseph Pleyels, Hildesheim: Olms 2011; J. M. Haydn: Michaelsmesse, Stuttgart: Carus-Verlag 2017) und Musikpublizistin, u.a. für Das Orchester und die Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ).

 

 

 

Wie der Titel besagt: Maurice Maeterlinck schuf mehr als nur eine Dramatisierung des überkommenen Blaubart-Stoffes. Natürlich basiert die Oper mit der Musik  von Paul Dukas auf dem alten Märchenstoff von Charles Perrault, den auch schon Offenbach in seiner Opèra-comique „Barbe-Bleue“ und später Béla Bartòk in „Herzog Blaubarts Burg“ verwendet hatten; doch Maeterlinck kombinierte ihn mit dem griechischen Ariadne-Mythos. Eine erstaunliche Parallele: Zum einen die Hochzeit mit dem Frauenmörder Blaubart, zum anderen die kluge Frau, die ihrem Geliebten Theseus eine Garnrolle als Waffe, als Navigationshilfe  für den bislang als todbringend geltenden Gang ins Minotauros-Labyrinth übergab. Im Zentrum jeweils eine kluge Frau, die Maeterlinck psychologisierend  als vielschichtige Figur gestaltet. Daneben hat eine zweite Titelfigur kaum mehr Platz, sich zu artikulieren – so besehen wäre Barbe-Bleue fast zum Statisten degradiert, der zwar immer als dämonische Macht vorhanden ist, aber keinen dramatischen Gegenpart zur Heldin bilden kann. Es bleibt die Fixierung auf die Person Arianes, ihren Sieg über die eigene Angst und ihre verzweifelten Versuche, die „Schwestern“ aus deren endzeitlich anmutender Lethargie und selbst gewählten Abhängigkeit von Blaubart zu reißen.  Der Untertitel von Maeterlincks Libretto lautet: „La délivrance inutile“ – die vergebliche Befreiung.

Exakt 111 Jahre hat es gedauert, bis Paul Dukas‘ Oper „Ariane et Barbe-Bleue“ nach der Pariser Uraufführung 1907 ihren Weg erstmals ans Grazer Opernhaus gefunden hat. Die umsichtige Regie Nadja Loschkys deutet „Ariane et Barbe-Bleue“ traumatisch, als überwältigend real werdende Erinnerung an die Konfrontation mit Blaubart auf einer irrealen Reise. Folgerichtig verzichtet die Ausstattung von Katrin Lea Tag auch auf allen Prunk, reduziert farblich auf Grau-und Schwarz-Töne, in die sich das helle Blau der identisch gekleideten Frauenfiguren einpasst;  die Lichtregie von Hubert Schwaiger eröffnet Stimmungsbilder. Ein Rondeau bildet die Bühne für sämtliche Handlungen, die nur durch ausgewählte Accessoires angedeutet werden: ein Kronleuchter, einzelne Möbelstücke. Stattdessen kann die Musik selbst wirken, ein synästhetisch aufgeladenes Klanggemälde, das Wagner und Richard Strauss näher steht als Debussy. Dukas war seit seiner Jugend mit Bayreuth vertraut, und Paris erlebte nicht erst seit der Erstaufführung zwei Tage vor dem „Barbe-Bleue“ ein wahres Strauss-Fieber. In der Grazer Aufführung sind die optischen Anspielungen auf Strauss und seine mythologischen Stoffe unübersehbar: Da ergießt sich ein Danaeisch anmutender Goldregen über die Bräute des Blaubart, der Stein als Schlüssel zum Licht wird durch das Elektra-Beil ersetzt und Arianes Schlussmonolog über dem im Koffer verstauten verletzten Torso Barbe-Bleues ruft die Erinnerung an Salome und den Kopf des Jochanaan auf einer Silberschüssel hervor.

Ariane et Barbe-Bleue in Graz / Copyright Werner Kmetitsch

Zahlreiche Freiheiten der Interpretation finden sich auch in der dramaturgischen Umsetzung des Stückes (Yvonne Gebauer und Marlene Hahn): Ariane und ihre Schwestern werden zu omnipräsenten Hauptakteurinnen, die verfrüht bereits im ersten Akt erstmals erscheinen. Da wird eine sechste (stumme) Schwesternrolle eingefügt, die Hochzeit Arianes erscheint als Vermählung einer Schwester – integrale Psychologisierung auf der Suche nach dem eigenen Ich als tragendes Element einer Inszenierung auf Kosten des ursprünglichen Librettos: Legitim angesichts der offenbaren dramaturgischen Schwächen im Maeterlinck-Text.

Roland Kluttig gelingt als versiertem Einspringer für die erkranke Chefdirigentin Oksana Lyniv ein differenziert gestaltetes Klang-Psychogramm. Zwar zu Beginn ein wenig unausgewogen und dominant, untermalt das Grazer Philharmonische Orchester umsichtig die Vokalpartien. Der Chor (Einstudierung: Bernhard Schneider) überzeugt in seiner kommentierenden Funktion,  wirkt sehr präsent und homogen. Aus dem Haus-Ensemble stammen die wohlklingend aufeinander abgestimmten Schwestern (Anna Brull, Yuan Zhang, Sonja Šarić, Tetiana Miyus, Maria Kirchmair und Lisa Caligagan). Schauspielerisch dämonisch und in den wenigen Szenen auch stimmlich einschüchternd agiert Wilfried Zelinka als Barbe-Bleue – eine Paraderolle für den Steirer. Als umsichtig der Titelheldin beistehende Amme gefällt Iris Vermillion mit ihrem warmen Mezzosopran .

Großartig durchweg Manuela Uhl als Ariane. Die immense Partie bewältigt sie mühelos und äußerst kultiviert, überzeugt mit gestalterischer und musikalischer Eindringlichkeit. Allein ihretwegen lohnt sich schon der Weg nach Graz. Dukas einzige Oper erfreut sich in den letzten Jahren steigender Beliebtheit. Davon zeugen die Neuinszenierungen in Basel (konzertant 2016), Barcelona (2011, auch als DVD erhältlich), Frankfurt (2007), Zürich (2005) und jetzt eindrucksvoll auch die Grazer Produktion.

Weitere Vorstellungen am 8., 11., 14., 17., 21. März und am  6., 13. und 22. April 2018.