Horváth: Erotik, Ökonomie und Politik

Bedeutsam und pittoresk: Zur Horváth-Ausstellung im Theatermuseum Wien

Von Thomas Ziegner

 

Allzu realistische Bühnenbilder wären den Stücken des Ödön von Horváth – die als Volksstücke zu bezeichnen problematischer wird, je älter sie werden – abträglich. Sie könnten dazu verleiten, das Vorgeführte als tragikomisch aufgepeppte Folklore misszuverstehen. Die von Nicole Streitler-Kastberger, Martin Vejvar und Andreas Kugler konzipierte Ausstellung, vornehmlich drei Stücken gewidmet, versperrt eine bequem nostalgische Rezeption, indem sie mitten in schönste Exponate wie die antike Schiffsschaukel mit prangendem Zeppelin-Foto im Hintergrund (zu „Kasimir und Karoline“) oder die dickrote Wurst („Geschichten aus dem Wienerwald“) großflächige Schrifttafeln plaziert.

 

Es hängt die Wurst: In Oskars Fleischhauerei

 

 

Fleisch

Wie das Lebendige zermürbt und „zu guterletzt” (Horváth) ganz „naturgemäß“ (Thomas Bernhard) erstickt wird, wie der Geist der ökonomischen Verwertbarkeit („ad maiorem bürgerliche Produktionsweise gloriam“, Horváth) die Menschenseelen verstümmelt, führen die Geschichten aus dem Wienerwald auf ebenso ingeniöse und sprachkünstlerisch raffinierte Weise vor wie halt auf andere Weise Brecht/Weills „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“. Besonderen Reiz allerdings hat die immanente Sprachkritik im „Wienerwald“: Wie die Charaktere oder Charaktermasken oder Lemuren unter dem ihnen tunlichst verborgenen Wertgesetz (oder Produktivitäts- oder Effizienz- oder Wertschöpfungsprinzip) ihr Handeln, Denken und Empfinden überzuckern. Zu guter Letzt heißt es dann naturgemäß: „Das sind halt so Naturgesetz‘“ (Alfred). Es wird verschönt, die kleine Metzgerei, an deren eisernem Rolladen der Rost nagt, ist weißgekachelt; der Schweinskopf in der Vitrine schaut aus, als wär’ er aus Marzipan.

 

 

 

Im Katalog: Kulturgebafel des 21. Jahrhunderts

Apropos überzuckern: Im insgesamt gelungenen, schön gestalteten Ausstellungskatalog (erschienen bei Jung und Jung, Salzburg), finden sich Beiträge, die die von Horváth selbst als “Bildungsjargon” nicht allzu präzise benannte Sprache seiner Figuren unfreiwillig ins 21. Jahrhundert transportieren. Da haben die Herausgeber schlicht versäumt, ödes Kulturgebafel zu streichen, das weit hinter die Einsichten zurückfällt, die der Dramaturg Herbert Gamper schon in den späten Sechziger Jahren formulierte. Konsequenterweise fehlen die einschlägigen Schriften Gampers, der die Wiederentdeckung Horváths maßgeblich prägte, im Literaturverzeichnis. Noch ein Wiederabdruck seiner Programmheftnotizen zur Stuttgarter Aufführung der “Geschichten aus dem Wienerwald” 1974 wäre aufschlussreicher gewesen als der dünne, kaum proseminartaugliche Text von Stefan Neuhaus, angeblich handelnd über “Politisches Schreiben bei Horváth”. Dieser Herr Literaturwissenschaftler schreibt so, wie der Herr Redakteur Rudolf Schmitz in “Der ewige Spießer”. Als Beweis genügt Neuhaus’ “Fazit”:

Die gezeigten Probleme sind zeitlos aktuell und solange es auf dieser Erde Menschen gibt, ist es nie sinnlos, sie daran zu erinnern, dass ein humanes, respektvolles Miteinander leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.”

Schreibt einer nach ausgiebiger Horváth-Lektüre, offenbar nicht bedenkend, dass auch einem literarischen Oeuvre Respekt gebührt. So einer destilliert daraus sowas wie eine vor Jahrzehnten in den Blättern des Springer-Konzerns propagierte Parole: “Seid nett zueinander”.

Wobei: Der Kasimir ist schon nett zur Karoline und die zuerst auch zu ihm, aber nachher nicht mehr so. Das hat gute schlechte Gründe, denen mit bloßem Gebafel halt leider “auf dieser Erde” (Neuhaus) zuguterletzt naturgemäß nicht beizukommen ist. Gar nicht so uneben nämlich, auf ihre Art klarer  als der pathetische Literaturwissenschaftler Neuhaus spricht die Figur Kasimir:

“Und dennoch hab ich harter Mann die Liebe schon gespürt – und die ist ein Himmelslicht und macht deine Hütte zu einem Goldpalast – und sie höret nimmer auf, solang du nämlich nicht arbeitslos wirst.”

Die Schiffsschaukel mit Zeppelin (“Kasimir und Karoline”) im Inennhof des Theatermuseums

 

Zu guter Letzt: “Nackerte Weiber, sehr richtig”: Enthusiastisch und affirmativ in “Geschichten aus dem Wienerwald”

Das fidele Nachtlokal Maxim

Ödön von Horváth: “Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur”. Ausstellung im Theatermuseum Wien, bis zum 11. 2. 2019

Theatermuseum Wien

Der Katalog bei Jung und Jung