Meyer Wolf Weisgal: Der Mann, der Reinhardt, Weill und Werfel nach New York holte (3)

Der klassische Zionist ist jemand, der vor 1948 die Übersiedlung nach Palästina in sein Lebensprogramm aufgenommen hatte und von der Schaffung eines souveränen jüdischen Staates träumte. Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für jüdisch-europäische Studien

(The classical Zionist is someone who, prior to 1948, had taken up residence in Palestine into his life-program and dreamed of creating a sovereign Jewish state. Julius H. Schoeps)

Ich mochte es nicht, Befehle zu erhalten.  (I did not like taking orders)
Meyer Wolf Weisgal

Für heutige deutsche Leser scheint es nicht überflüssig, knapp zu erläutern, dass „Zionismus“ keineswegs eine einheitliche, gefestigte Ideologie oder Dogmensammlung ist. Wer, wie die Bundesrepublik, aus historischen Gründen die Existenz Israels bejaht und als Staatsräson betrachtet, darf sich mit gewisser Berechtigung durchaus als zionistisch bezeichnen, ganz im Sinne von Prof. Schoeps, antwortend 2008 auf die Frage des ntv-Nahostkorrespondenten Ulrich W. Sahm, „Sind Sie ein Zionist ?“:
In dem Sinne, dass ich voll und ganz hinter der Existenz des Staates Israel stehe, ja. Mich hat der Zionismus immer sehr interessiert, obgleich mein Vater der Ansicht war, ich dürfte zwei Dinge niemals werden: Zionist und – was er noch für schlimmer hielt – Sozialist. Beides hielt er für abwegig. Dahinter steckte ein Problem deutscher Juden vor 1933, die angepasst in Deutschland lebten und in ihrer Mehrzahl nicht viel mit -ismen irgendwelcher Art anfangen konnten. Heute sieht alles anders aus. Ich habe den Sozialismus studiert, bin aber kein Sozialist geworden. Mit dem Zionismus habe ich mich wissenschaftlich beschäftigt, Zionist bin ich aber deswegen auch nicht geworden.” https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Was-bedeutet-Zionismus-heute-article264024.html

For today’s German readers, it does not seem superfluous to explain succinctly that “Zionism” is by no means a consistent, established ideology or dogma collection. Anyone who, like the Federal Republic, for historical reasons affirms the existence of Israel as a raison d’etat, may with some justification call itself Zionist, quite in the spirit of Prof. Schoeps, answering the question of ntv-Middle East correspondent Ulrich W. Sahm in 2008. “Are you a Zionist?”:

“In the sense that I fully support the existence of the State of Israel, yes. I was always very interested in Zionism, although my father thought I would never be able to do two things: Zionist and, worse, socialist. Both he thought was outlandish. Behind this was a problem of German Jews before 1933, who lived in Germany in an adapted manner and in their majority could not do much with -isms of any kind. Everything looks different today. I studied socialism, but I did not become a socialist. I was scientifically involved in Zionism, but I did not become a Zionist.”

Von Thomas Ziegner

Er war ein Mann, der hart arbeitete; wiewohl sich sein autobiographisches Buch streckenweise wie ein Abenteuer- und Schelmenroman liest. Sein Bruder hatte einen kleinen, gut laufenden Zeitungskiosk eröffnet, und als er zum Militärdienst einberufen wurde, war Meyer bereit, den Laden zwischenzeitlich mitzubetreuen. Dazu studierte er an der Columbia-Universität Journalismus und bewältigte die redaktionelle Arbeit, die ihm am meisten am Herzen lag.
Bevor der Maccabean-Herausgeber Hyman R. Segal 1916 zurücktrat, schrieb er an den Präsidenten der Zionist Organization of America (ZOA), den Richter Louis D. Brandeis (Richter im Supreme Court) lapidar: „Wir haben hier einen jungen Mann, der als so eine Art von Faktotum arbeitet und ich würde vorschlagen, dass er die Gelegenheit bekommt, das Blatt zu leiten, weil ich meine, dass er dafür qualifiziert ist.“ Weisgal schreibt bescheiden:

“Meine Hauptqualifikation war, dass ich Jiddisch beherrschte. Jedesmal, wenn seine (Segals) Aufmerksamkeit auf ein welterschütterndes Ereignis in der Jiddischen Presse fiel, holte er mich, damit ich es ihm übersetzte. Die Wichtigkeit der jiddischen Presse in der jüdischen Welt dieser Zeit ist kaum zu überschätzen. Sie war die einzige Quelle für jüdische Nachrichten für englische Leser, weil es keine jüdische Nachrichtenagentur gab. Also war jeder, der in einem englisch-jüdischen Organ wenigstens elementare zweisprachige Kenntnisse hatte, ein unentbehrlicher Experte“ (…) “Es gab, ich bin glücklich das sagen zu können, keine Rangelei wegen meiner Beförderung. Brandeis‘ Antwort war bündig und unmissverständlich: „I agree“.” (1)

(He was a man who worked hard; Although his autobiographical book sometimes reads like an adventure and picaresque novel. His brother had opened a small, well-run newsstand, and when he was drafted into military service, Meyer was ready to co-operate with the store. He studied journalism at Columbia University and mastered the editorial work that was closest to his heart.
Before Maccabean editor Hyman R. Segal resigned in 1916, he wrote to the president of the Zionist Organization of America (ZOA), Judge Louis D. Brandeis (judge in the Supreme Court): “We have a young man here, who works as a kind of factotum and I would suggest that he get the opportunity to lead the paper, because I think he’s qualified for that. “Weisgal writes modestly:

“My main qualification was that I mastered Yiddish. Every time his (Segal’s) attention fell on a world-shaking event in the Yiddish press, he brought me to translate it to him. The importance of the Yiddish press in the Jewish world of this time can hardly be overestimated. It was the only source of Jewish news for English readers because there was no Jewish news agency. So anyone who had at least elementary bilingual knowledge in an English-Jewish organ was an indispensable expert (…)”)” There was, I’m happy to say that, no struggle about my promotion. Brandeis’ reply to Segla’s recommendation was terse and unambigous: “I agree.”

Erste Sorge des neuen Chefredakteurs war, den Einfluss des Redaktionsbeirats zu reduzieren. Da drin sitzen meist Möchtegernschreiber und umtriebige Vereinsmeier, „deren Funktion darin besteht, die Anstrengungen des Herausgebers, ein vernünftiges Blatt zu machen, zu vereiteln“, befand der Neue. Außer Louis Lipsky biographische skizze Louis Lipsky  brauchte er niemanden. Ein Honorarbudget für Freie Mitarbeiter gab es nicht. Also versuchte er, ehrenamtliche Autoren zu engagieren und fand überraschenderweise einige gut qualifizierte. Das vorhandene Potential war bisher bloß noch nicht angezapft worden.
Wegen einer Karikatur, die er drucken ließ, hätte er sein frisch erworbenes Amt fast wieder verloren. Er möge den Zeichner Boardman Robinson nicht mehr drucken, sonst würde er selbst entlassen, beschied man ihm. Aber Weisgal ließ sich nicht einschüchtern. Er wusste, dass Kontroversen gut fürs Blatt waren und: „To begin with, I did not like taking orders – Um damit zu beginnen: Ich mochte es nicht, Befehle zu empfangen.“ Diese Abneigung gegen Befehle, Orders, legte er während seines ganzen Lebens nicht ab. (2)

(The first concern of the new editor-in-chief was to reduce the influence of the editorial board. There are usually would-be writers and organizational hatchetmen, “whose function is to thwart  the efforts of the publisher to make a decent paper,” the new man said. He did not need anyone except Louis Lipsky. A fee budget for freelancers did not exist. So he tried to hire volunteer writers and surprisingly found some well-qualified. The existing potential had not yet been tapped.
Because of a caricature he had printed, he almost lost his newly acquired office. He should not print the draftsman Boardman Robinson anymore, otherwise he would be fired himself, they told him. But Weisgal was not intimidated. He knew that controversy was good for the paper and: “To begin with, I did not like taking orders “. He disliked orders throughout his life.) (2)

Nun änderte er das Titelblatt des „Maccabean“, belebte das Layout und engagierte unter anderen Maurice Samuel, Max Heller, und Bernard G. Richards (Autor des Buches: The Discourses of Kiedansky“) als Autoren. Anfang 1917 war Weisgals Tagesplan ein wenig überfrachtet. Um drei Uhr früh stand er auf, um den Zeitungsstand seines Bruders zu betreuen. Von dem aus waren es nur ein paar Schritte zur Columbia-Universität, wo er Journalismus hörte. Von da zur Redaktion war die Strecke länger, die er mit dem Fahrrad zurücklegte. Dann radelte er heim, aß schnell zu Abend und vertiefte sich in die Journalismus-Fachbücher; die Füße in einem Eimer mit kaltem Wasser, um sich wachzuhalten. Die paar Cents für die U-Bahn wollte er sparen – „glücklicherweise wurde mir mein Fahrrad gestohlen und meine idiotisch falsche Sparsamkeit hörte auf“.

Auch das hektische Redakteurs-Studenten-Zeitungsverkäufer-Dasein wurde beendet. Und zwar durch die amerikanische Regierung. Bruder Leo war in der US-Marine, Bruder Josh im US-Heer.
„Washington meinte, das sei nicht genug um die Deutschen zu überzeugen, dass ihre Lage hoffnungslos war. Oder sie hatten vielleicht Wind davon gekriegt, dass ein vierter Weisgal, mein ältester Bruder Abba, auf der anderen Seite diente, im österreichischen Kaiserreich. Wenn das so war, wollten sie jeden amerikanischen Weisgal im militärfähigen Alter, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, und ich wurde eingezogen“. (3)

(Now he changed the title page of the “Maccabean”, animated the layout and engaged among others Maurice Samuel, Max Heller, and Bernard G. Richards (author of the book: The Discourses of Kiedansky “) as authors. At the beginning of 1917, Weisgal’s day plan was a little overcrowded. At three in the morning he got up to look after his brother’s newsstand. From there, it was only a few steps to Columbia University, where he heard journalism. From there to the editorial the distance was longer, which he covered by bicycle. Then he rode home, had a supper and immersed himself in the journalism textbooks; feet in a bucket of cold water to keep himself awake. The few cents for the subway he wanted to save – “fortunately, my bike was stolen and my idiotic false economy ceased”.

Even the hectic editor-student-newspaper-salesman existence was ended  – by the American government. Brother Leo was in the US Navy, brother Josh in the US Army. But:

“Washington said that was not enough to convince the Germans that their situation was hopeless. Or maybe it had got wind of the fact that a fourth Weisgal, my oldest brother Abba, served on the other side, in the Austrian Empire. If so, it wanted every American Weisgal of military age to restore balance, and I was called up. ” ) (3)

(1) Meyer Weisgal, …So far An Autobiography, London 1971, p 38 f

(2) l.c. p 42

(3) l.c. p 43