Zu wahr, um nur schön zu sein
Er gehörte zu den Mitbegründern der Abstrakten Kunst in Deutschland: Emil Schumacher, Jahrgang 1912. Zu seinem 100. Geburtstag war im Hagener ESM eine anregende Ausstellung zu sehen.
Überraschende, im besten Sinn aufregende Funde präsentierte Gastkurator Erich Franz. In Zusammenarbeit mit Ulrich Schumacher, dem Vorsitzenden der Stiftung, und dem Hagener Kurator Rouven Lotz konfrontierte er das Oeuvre Emil Schumachers mit klug ausgewählten Werken seiner bedeutendsten Zeitgenossen: Künstler-Kollegen, denen der am 29. August 1912 geborene Schumacher besondere Aufmerksamkeit schenkte. Sei es, weil sie ähnliche formale Ideen hatten, sei es, weil er einige ihrer Verfahren testen wollte, ausprobieren, wie er sie seinen Vorstellungen assimilieren könnte.
Lehrreich, anregend und vergnüglich gleichermaßen ist die Konzeption. Da ist zunächst das bekanntermaßen beträchtliche Eigengewicht der Bilder Schumachers, ihre gestische Kraft, die dank Binnendifferenzierung etwa der voluminösen schwarzen Strukturbögen nie als Kraftmeierei wirkt; ebenso wenig wie die sofort, gleichsam im ersten Augenblick imponierenden Farb-Valeurs, deren Vielschichtigkeit sich erst dem verweilenden oder auf der Bildoberfläche wandernden Blick erschließt.
Viel Sinn für gut gesetzte Pointen hatte das Kuratoren-Trio bei der Hängung. Kommt man in den zweiten großen Saal, entlocken Schumachers Großformate selbst abgebrühten Ausstellungsbesuchern Seufzer der Begeisterung. Prominent prangt die geradezu unverschämt, fast tränentreibend rot leuchtende “Zwiebel” im Mittelgang.
Die Ausstellung zeigt Schumacher im internationalen Kontext. Vielleicht größtes Verdienst dieser Konzeption: Sie weist mühelos nach dass bloße Einordnungen wie “Informel” oder “abstrakter Expressionismus” für die einzelnen Werke wenig besagen: Es sind Behelfsformeln für Unterricht und Feuilleton, Marketinghilfe für den Handel. Chefkurator Erich Franz fasst im Katalog die bisherige Literatur zu Schumacher konzis zusammenfassen und denkt weiter. Seinem vorzüglichen Essay hätten einige bessere Alternativen zum Haupttitel “Malerei ist gesteigertes Leben” entnommen werden können: Dieses Motto hat Schumacher so nie formuliert, es ähnelt den Slogans einer Pillenfirma.
Schumacher ist gegen viele seiner Liebhaber in Schutz zu nehmen, die ihn umstandslos reduzieren auf starke Farben und auf ungezügelten Ausdruckwillen (“expressionistisch halt”). Franz zeigt, wie skrupulös, wie gedankenreich der Künstler seine Arbeiten schuf, die zugleich von starker leibhaftiger Präsenz zeugen. Franz betont, wie Schumacher den motorischen Impuls wohlkalkuliert abbremst, steuert, in den Dienst des “Wahrheitsgehalts” (Zitat Schumacher) stellt. Danach sieht man die Bilder besser, hat energiespendende Freude an ihnen. “Oft muss ich schöne Einzelheiten, alles Gefällige und Genüssliche zerstören im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt dessen, was ich mit dem Bild meine. Das eigentlich Schöne ergibt sich aus dem großen Tun heraus”, sagte Schumacher einmal. Einen Stil, der es ihm erlaubt hätte, Bilder nach einem Schema zu fertigen, hatte er nicht – dennoch ist seine Handschrift dank des enormen Spannungsreichtums, der zuweilen hitzigen Intensität unverkennbar.
Wie schwer er es sich stets machte, beschrieb er in einem Text aus dem Jahr 1960: Die Überwindung der “Mauer” des Bildes bezeichnete er als die Kraftanstrengung im schöpferischen Prozess: “Ich gehe gegen das Bild an, wie ich gegen eine Mauer angehe, um eine Lücke zu finden, durch welche ich hindurch kann, um hinter das Unbekannte der Grenze zu kommen.” Hat er es aber geschafft, dann “ist es kein Geheimnis mehr, und eine neue Mauer richtet sich vor mir auf. Immer wieder kommt die Verzweiflung darüber, aber das ist gut so, denn dieser Widerstand mobilisiert neue Kräfte.”
Etwa neunzig Prozent der aktuellen Bilderflut in den Medien ist zu schön, um wahr zu sein; eine mögliche Umschreibung für Kitsch. Bilder Schumachers und die seiner großen Zeitgenossen sind zu wahr, um nur schön zu sein. Dass Schumacher zu den ersten Entdeckern und Sammlern des Virtuosen der Spannungslosigkeit Cy Twombly gehörte, ist eine der verblüffendsten Entdeckungen der Ausstellung. Schumacher erkannte den Rang des so gegensätzlich arbeitenden Kollegen – und nutzte womöglich dessen Konzept zum kalkulierten Abbremsen des eigenen expressiven Elans.
Thomas Ziegner