Schilda wird immer sensibler oder Differenzierungen im Begriff Gravitas (1)

 

Wie ein über street credibility verfügender Oberbürgermeister von Parteigenossen gemobbt wird

 

Was er nun genau gesagt, der Boris Erasmus Palmer, steht in der ersten Fußnote (1) und ist den „Rassismus“-AlarmistenInnen eh ziemlich wurscht. Jedenfalls hat er dafür plädiert, zwei sich ungeschickter oder sogar geschmackloser Äußerungen schwer schuldig gemacht habender und darob ihrer für die nationale moralische Mentalität hoch relevanten Funktion als Fachkommentatoren diverser Fernsehsender Enthobener zu pardonnieren. Fußballer waren es, halten zu Gnaden, keineswegs ihre tranigen Topoi („Wut und Trauer“, „zynisch und menschenverachtend“) fummelnden Feuilletonisten oder Funktionäre.

Einer dieser Fußballer nun gehört nicht der depigmentierten Rasse (2) an, ist alstern schwarz; wie mutmaßlich sein Genital, das er einst einer Dame als solches soll offeriert haben, glaubt man den im Netz umherschwirrenden Info-Schnitzelchen, Parerga und Paralipomena. Warum denn auch nicht, wenn‘s situationell adäquat gewesen sein sollte, was zu beurteilen allerdings Außenstehenden nicht zukommt.

Palmer, bekanntlich Oberbürgermeister der für ihre Exzellenz und Delikatesse in hochgeistigen Fragen einst weltberühmten kleinen Universitätsstadt Tübingen – mittlerweile ist sie im Begriff, ein neues Level der trans- und gender-kulturellen Sensibilität und Bewusstheit der „White Fragility“ (3) zu erklimmen, zum veganen Wahnmoching zu werden (4) – Palmer also scheute sich nicht, was er inzwischen bedauert, auch mit den im neuesten Verstande political-correctness mäßig empfindsamsten und daher eo ipso urbi et orbi dümmsten MitgliederInnen seiner Grünen-Partei zu kommunizieren.

Statt also, wie er es künftig wohl wird praktizieren müssen, einen Abwimmel-Profi mit dem Abräumen von allerlei an ihn herangetragenen Zumutungen zu beauftragen, reagierte er selbst, wenig reflektiert vielleicht, ein wenig vulgär amüsanterweise, und schrieb ein böses, böses Wort hin, ein zusammengesetztes, bestehend aus einer seit kurzem auch in Europa geächteten, mit „N“ anfangenden Bezeichnung für voll Pigmentierte und einem nicht ganz unüblichen, kaum Anstoß erregenden Synonym fürs männliche Genital.

Was er nicht bedachte: Die Mischung, diese Kopplung zweier Substantive birgt hochexplosives Erregungspotential für die nicht nur in Tübingen, aber hier stets besonders wachsame Öffentlichkeit, und die in ihm gebundene Energie wird subito und con fuoco freigesetzt, sobald das böse zusammengesetzte Wort sorgfältig aus dem Kontext herauspräpariert wird und auf die aktuell grassierende histrionische Kränkungsbereitschaft trifft. Denn nicht nur fremd schämen, wie früher gern, ist heutzutag möglich. Emotional ergiebiger ist, stellvertretend gekränkt zu sein, weil: „Er hat N****schw*nz“ gesagt, was ein nicht-depigmentierter Fußballer angeblich zu seinem Genital gesagt hat, also letzterer, der Zitierte, gewiss nicht in herabwürdigender, eher in heraufwürdigender, charmant-derb werbender Absicht.

Warum erinnern uns die daraufhin prompt einsetzenden, mit mannigfachen Blödheits-Varianten imponierenden Empörungs-Exklamationen an die Szene „Er hat Jehovah gesagt“ aus Monty Pythons „Das Leben des Brian“?

Passt vielleicht gar nicht. Die Analogie ist ja bloß das etwas zurückgeblieben sprachmagische, wort-fetischistische Reiz-Reaktionsmuster. Pawlow hat bewiesen, dass sogar Hunde imstande sind, das zu erlernen. Sagt ein Rohling das N****-Wort, in welcher Zusammensetzung und welcher Intention auch immer, und sei es verborgen auch im ehrwürdigen, keineswegs herabsetzend gemeinten Terminus technicus „Negro-Spiritual“, ist er nicht bloß ein Rohling mehr, sondern ein rassistischer Renegat, ein ruchloser Rabauke, unwürdig, weiter die Unterstützung empfindsamer Edelseelen zu genießen, also mehrheitlich Parteispitze, Gefolgschaft, Basis und Wählerschaft der Grünen.

Ob der vor Gravitas (5) nur so strotzende knorrige Kretschmann den Parteiausschluss des stets für einen enervierenden oder auch erleuchtenden Eklat guten Palmer befürwortet, steht dahin. Die Kanzlerkandidatin, ihr Partei-Ko-Vorsitzender und die empörungsroutiniert den Topos „zynisch und menschenverachtend“ dauerblökende grüne Bundestagsvizepräsidentin wollen es Schilda nachtun. Die Tübinger Grünen mögen mit dem Palmer nimmer. Der Landesvorsitzende befindet para-olympisch, nun sei es genug mit diesem disziplinlos ungesteuert von PR-Fuzzis und Spin-Doktoren sich äußernden homo politicus Palmer. Vermöge seiner Kompetenz, vermöge seines Temperaments, auch vermöge seiner Risikobereitschaft, sich mit einem nicht ganz zu Ende gedachten Argument gottbehüte einer Diskussion auszusetzen, besitzt aber offenbar dieser Palmer ein gewisses Charisma. Gravitas hat er auch, dazu bissl Vulgaritas, und just diese Mischung gibt ihm eine gewisse street credibility, die halt den redlichen RepräsenTantInnen der neuen Spießigkeit, des mauen juste milieus, fehlt. Aber wie.

Es war Anfang der Fünfziger Jahre, als die Tübingen benachbarte kleine Bischofsstadt einen sehr, sehr tüchtigen Bürgermeister nicht wiederwählte, weil der einer außerehelichen Amoure frönte und deren überführt ward. Er reüssierte später in einer Schwarzwaldgemeinde, deren Aufblühen die allzu bieder-frommen Bischofsstädtler mit ein wenig Reue und Neid registrierten. Mit der praktischen Kommunalpolitik Palmers – Wohnungs-Flüchtlings-Wirtschafts-Sozial-Umwelt-Politik – sind die AuthochtonInnen überaus zufrieden. Er hätte gute Chancen, legte er‘s darauf an, ohne die Unterstützung des engeren Milieus wieder gewählt zu werden. Die Parteigremien, die wackeren Schiedsgerichte, die jeweiligen Parteispitzen in Kommune, Land und Bund sind nicht zu beneiden. Denn, sagen wir es in inklusiver, einfacher Sprache: Warum wurde Palmer ausgeschlossen, wird einst gefragt werden. Und die Antwort wird lauten: Er hat, nein, nicht „Jehovah“, er hat „N****Schw*nz“ gesagt.

Sepp Zeitblom / Thomas Ziegner

(fortzusetzen).

(1) „N****Schw*nz“; Palmer plauderte, auf Facebook, entspannt mit bon sens: Man möge doch den einen, schwarzhäutigen, also „People of Colour“, Fußball-Kommentator wieder expertenhaft schwatzen lassen, obwohl der mal – ohne böse Absicht – bafelte, irgendwer müsse halt „trainieren bis zum Vergasen“. Und der andere Fußball-Fernseh-Bafler, ein depigmentierter, solle auch bittschön pardonniert werden. Der hatte nämlich gesagt, der Faux-Passler Nr. 1 sei eh nur ein „Quoten-Schwarzer“.

(2) depigmentiert=weiß; von Gottfried Benn gern benutztes Attribut; „Rasse“ wird hier im Sinne Georg Forsters benutzt, der seinerzeit gegen Kant einwandte, dass Rasse eben nicht „Spezies“ bedeute, sondern bloß Varietät innerhalb der Spezies meinen könne. Jaja, die Begriffsgeschichte ist nicht ganz irrelevant.

(3) „White Fragility“- extrem gut gemeintes, superhypermega antirassistisches Traktat von Robin DIAngelo, kuriose Aberration der auf die USA zugeschnittenen, wichtigen, ernst zu nehmenden Critical Race Theory, entworfen vom Soziologen Joe Feagin. „Das Buch mit dem Titel „White Fragility“ allerdings tauge nur dazu, dem Bein eines wackligen Tisches unterlegt zu werden, befand vor fünf Tagen der schwarze Linguistik-Professor John McWhorter in der Show „Real Time“ von Bill Maher.

https://www.youtube.com/watch?v=-tjgXQDyqno

(4) „Wahnmoching“: Sprechender Spitzname, von Franziska Gräfin zu Reventlow für München-Schwabing geprägt, als dort die „Kosmiker“ westen, zuvörderst Stefan George, Ludwig Klages („Vom kosmogonischen Eros“, nicht ganz dumm) und Karl Wolfskehl.

(5) „Gravitas“: Würde, Gewicht, Autorität; vgl das Charisma-Theorem von Max Weber