Meyer Wolf Weisgal: Der Mann, der Reinhardt, Weill und Werfel nach New York holte (4)
Mrs. Dunkelman, es gibt niemanden wie mich. Sie können das Original haben, wenn Sie mögen.
Meyer Weisgal
Von Thomas Ziegner
Der junge Mr. Weisgal wird Zeitungschef und geht nach Kanada
Seine militärischen Vorgesetzten erfuhren alsbald, dass der junge Soldat es nicht besonders mochte, Befehle zu empfangen (vgl Teil III). Für dienstliche Belange wurde ihm einmal ein Reitpferd bewilligt; weil es ihm gut gefiel, blieb Weisgal noch eine Weile beritten, obwohl der dienstliche Grund längst entfallen war. Der Feldwebel tobte. Und weil der Krieg 1918 schon absehbar glücklich vorbei war, sandte der brave Soldat ein Telegramm aus dem Urlaub ans Regiment: Es mache sicher nichts aus, wenn er ein paar Tage länger wegbliebe. Falls man ihn dringend brauche, möge man halt telegrafieren. Das Militär konnte ihn entbehren und telegrafierte nicht. Als er aber geruhte, wieder in die Kaserne einzurücken,
“war der Empfang warm, aber nicht herzlich. Der Feldwebel war sauer. >Wo zum Teufel sind Sie gewesen?<, brüllte er. Ich schaute ihn verständnislos an: >Aber ich habe Ihnen doch ein Telegramm geschickt<. Seinen Gesichtskrämpfen nach konnte er sich nicht recht entscheiden, ob ich ein Betrüger oder ein Idiot sei. Dann fand er seine Sprache wieder und in zehn Minuten militärischer Eloquenz machte er mir klar, dass ich für ihn beides sei.
Schnell stürzte er sich nach Kriegsende wieder in die Arbeit. Die Balfour Declaration von 1917 war ein bedeutendes Zugeständnis: Erstmals erklärte eine Großmacht, die Ansiedlung von Juden in Palästina zu befürworten. Text der Balfour-Declaration Zwei völlig unterschiedliche Konzeptionen wurden nun leidenschaftlich diskutiert. Die Gruppe um Louis Brandeis, Richter am Supreme Court, hielt das Ziel für erreicht. Nun müsste sorgfältig und wissenschaftlich geplant werden, wieviele Menschen in Palästina einwandern sollten; unternehmerische Initiative, das “freie Unternehmertum” wollten sie fördern, Formen der gemeinnützigen Wirtschaft oder genossenschaftliche Zusammenschlüsse hielten sie auf Dauer nicht für lebensfähig. Die von Chaim Weizmann angeführte Fraktion hingegen betrachtete die Balfour Deklaration nicht als Zielpunkt, sondern als Sprungbrett, als ermutigenden Anfang. Von Beginn an unterstützte Weisgal Weizmann, woraus eine lebenslange Zusammenarbeit und Freundschaft entstand. Weizmann schätzte die unermüdliche Energie seines Mitstreiters, seinen Einfallsreichtum, seine strategische Weitsicht. Gern wird die Anekdote erzählt, wie sich Weizmann in London einmal erkundigt, was es mit dem lautstarken Monolog im Nebenzimmer auf sich habe. “Weisgal spricht mit Jerusalem”, wird ihm geantwortet. Darauf Weizmann: “Warum benutzt er nicht einfach das Telefon?”
Beide Männer verstanden sich nach dem Zeugnis vieler Mitarbeiter blitzschnell, ohne viele Worte zu brauchen. Wie Weisgal stammte Weizmann aus einem Stetl, aus Motol, und genoss es, mit seinem Adjutanten Jiddisch zu sprechen, gelegentlich zum Missfallen seiner aristokratischen Ehefrau.
Weizmanns Konzeption erreichte 1921 die Mehrheit. Er war Chef einer europäischen Delegation, deren prominentestes Mitglied der damals schon weltberühmte Albert Einstein war. Die Brandeis-Gruppe hatte die Monatsschrift “The Maccabean” nach dem Rücktritt von Louis Lipsky und Weisgal eingestellt. Weisgal gründete daraufhin “The New Maccabean”, und stellte bald auf wöchentliches Erscheinen um. Fast rund um die Uhr waren er und seine Mitstreiter aktiv. Sein publizistisches Engagement wird als wesentlicher Beitrag zum Erfolg der Weizmann-Gruppe eingeschätzt. (2) Die Sonderausgabe des New Maccabean zur Gründung der Hebräischen Universität in Jerusalem (März 1925) und die der Nachfolge-Zeitschrift, “The New Palestine” zum 25. Todestag von Theodor Herzl (1929) errangen legendären Ruf, sind wichtige Quellen und hochbegehrte Sammlerstücke.
Für die Herzl-Sonderausgabe gewann Weisgal Autoren wie Martin Buber, Max Brod, Georges Clemenceau…etc. Es kam unter anderem eine Würdigung von Ferdinand I., König von Bulgarien. Dank des Internets, für die Jüngeren eh’ selbstverständlich, muss man keine Bibliotheks-Fernleihe bemühen, um in dieser verdienstvollen Publikation zu blättern. Es lohnt sich: Weisgals legendäre Herzl-Extraausgaabe
Weisgal engagiert Winston Churchill
Albert Einstein, Leon Blum, Repräsentanten jeder jüdischen Vereinigung Europas, Scholem Asch, Chaim Nachman-Bialik und viele andere nahmen am zionistischen Kongress 1929 in Zürich teil. Weisgal natürlich auch, sowohl als Delegierter wie als Journalist. Nach dessen offiziellem Ende, viele Teilnehmer hatten einen Aufenthalt in den Kurorten Marienbad und Karlsbad angeschlossen, trat der Großmufti von Jerusalem (ein Nazifreund) Aufstände los, bei denen rund 150 Siedler getötet und erhebliche Sachwerte vernichtet wurden. In Marienbad wurde ein ProtestMemorandum formuliert, das Weisgal dem schon nach London zurückgekehrten Weizmann überbrachte.
Zurück in New York fühlte er das dringende Bedürfnis nach einem ermutigenden Statement und hörte, dass Winston Churchill in Kalifornien Vorträge hielt. Also telegrafierte er ihm die Bitte um einen Artikel und hörte von dessen Agent, er könne einen haben ,für ein Dollar pro Wort. Ohne irgendjemand um Erlaubis zu fragen (Wir erinnern uns: I don’t like to take orders – Ich mag es nicht, Befehle zu empfangen, siehe Teil 3), bestellte er 1000 Wörter und erhielt einen fabelhaften Text. Er bot ihn sofort der New York Times an, die ihn an prominenter Stelle druckte.
Allseits wurden Text und New York Times Plazierung gelobt, bis die Rechnung kam. Der Herausgeber und Chefredakteur Weisgal musste sich von Funktionären sagen lassen, dass er das Geld zum Fenster hinaus werfe. Wer sei denn schon dieser Churchill; halt ein früherer Schatzkanzler des Britischen Empires, und schon ein brillanter Journalist und Redner; aber deswegen 1000 Dollar ausgeben, wo doch jeder beliebige zionistische Schreiber einen ähnlichen Text für fünf Dollar hätte liefern können?
Solche Fragen, überhaupt mangelnder Schwung und Elan, einige andere Gründe außerdem, führten dazu, dass Weisgal als Sekretär der Zionistischen Organisation of America (ZOA) und als Herausgeber des “New Palestine” zurücktrat. Ende 1929 saß er in seinem Büro und dachte über die nächsten Schritte nach, als eine Dame erschien und sich als Rose Dunkelman vorstellte. Sie kam ausToronto, Kanada, und wollte einen fähigen Herausgeber für ihre Zeitung. Der neue Rabbiner in Toronto hielt nichts von zionistischen Zielen; ihm sollte qualifiziert opponiert werden, und Weisgal sollte jemanden empfehlen, der so fähig sei wie er selbst. “Können Sie mir jemanden empfehlen, der wie Sie ist”, fragte Ms. Dunkelman. Und Weisgal antwortete,
“mit meiner üblichen Zurückhaltung und Bescheidenheit: >Mrs. Dunkelman, es gibt niemanden wie mich; Sie können das Original haben, wenn Sie mögen.< Sie war verdutzt, aber sie konnte sich mit der Idee anfreunden.”
Meyer Weisgal: …So Far, an autobiography, London 1971, pp 47-92