Jazz goes afro-arabic: Lukas Kranzelbinder kuratierte 51. SWR New Jazz Meeting

Ich habe beschlossen, frech und unbequem zu sein

denen in die Suppe zu spucken, die dem Leben die Zähne ausreißen

auf ihre angebliche Rechtschaffenheit zu pissen (…)

Fist0n Mwanza Mujila

 

Aufregend polystilistische Stücke vom Septett On boit Lumumba

Als Kurator des 51. Meetings hatte Jazz-Redakteur Günther Huesmann den österreichischen Bassisten und Komponisten Lukas Kranzelbinder gewonnen, der ein international besetztes Septett zusammenbrachte und mit ihm die Ergebnisse der vom Südwestrundfunk finanzierten mehrtägigen Zusammenarbeit am 17.11.2018  im Tübinger Sudhaus vorstellte. Zentral waren Texte vom 1981 im Kongo geborenen Dichter und Gelehrten Fiston Mwanza Mujila, im Original auf französisch, auch in der deutschen Übersetzung noch einen Eindruck von der poetischen Kraft des Autors vermittelnd: Der hymnischen Sprache mächtig, ähnlich wie Pablo Neruda; rhythmischen Drive besitzend; und nicht zuletzt: sarkastisch die hochtrabend-heuchlerischen Parolen des kolonialen und post-kolonialen Europa glossierend wie vormals der große Aimé Césaire.

Kranzelbinder erläuterte einleitend den rätselhaften Titel: In Österreich gibt‘s einen beliebten Après-Ski-Drink, bestehend aus hauptsächlich Kakao und Rum, den sein Erfinder „Lumumba“ nannte. Patrice Lumumba, dieser Name ging 1961 durch de Weltpresse, weil er als erster kongolesischer Regierungschef die Konsortien belgischer und US-amerikanischer Konzerne verstaatlichen wollte. Man hat ihn dann umgebracht, im Auftrag der belgischen und US-amerikanischen Regierung, nachdem man ihn folterte. Danach wurde sein Körper in Batteriesäure aufgelöst, wie mutmaßlich aktuell der Leichnam von Kashoggi.

Man trinkt also „Lumumba“ in Europa, nicht wissend und – „sind wir mal ehrlich“, würde eine Figur von Gerhard Polt sagen – beim gepflegten Après Ski auch nicht wissen wollend, woher der Name kommt. Mujila reagiert auf den Namen des Drinks mit gargantuesken Ankündigungen. Nicht nur das Bier werde er trinken, sondern „die ganze Brauerei“ und noch viel mehr. „Meine Schnauze trinkt die Fäulnis“, heißt es, ehe die Flüsse aller Erdteile drankommen. Zum Schluss die höfliche Frage: „Darf ich Sie trinken, Herr Lumumba? / Mit Kaffee oder Milch?“

Der Dichter performte seine Texte selbst, mit einigem vokalistischen Talent, dirigiert von der vorzüglichen, aus dem Iran stammenden Klarinettistin Mona Matbou Riahi. Abwechslungsreiche, gut gewählte Klangfarbmischungen stellten Bassist Kranzelbinder am Guembri (afrikanische Kontrabassversion), Gitarrist Gregory Dargent auf der Oud (arabische Kurzhalslaute) und Tenorsaxophonist Johannes Schleiermacher auf der Querflöte her.

Hohen kompositorischen Rang hatten die sämtlich von Kranzelbinder komponierten Jazz-Meeting-Stücke, hinreichend improvisatorischen Freiraum lassend und an besonders exponierten Stellen sogar Free-Jazz-Auflösungsfelder plazierend (in besonders intensiven Momenten an Albert Ayler erinnernd), in deren Intensität etwas vom (nicht nur) kolonialistischen Grauen schwach nachzitterte. Geschickt verknüpfte der Komponist europäisch-amerikanische mit arabischen und afrikanischen Sound-Ideen – sehr zur Freude des am Ende und zwischendurch immer wieder tosend applaudierenden Publikums. In Praxi bestätigte Kranzelbinder – während andere schier verzweifelt nach einer hübsch-statischen Identität suchen – das Konzept der „Hybridität“, das der Soziologe Homi Bhabha formulierte.

Nach artigen Komplimenten fürs Sudhaus speziell, die Schönheit Tübingens im allgemeinen und dem Versprechen wiederzukommen, performte das Ensemble mit Jazz-Rock-Drive, verzerrten Gitarren Sounds (a la Hendrix) und einem Solo des vorzüglichen Drummers Dave Smith die sarkastische Replik Mujilas auf die schönen großen Worte aus Europa, unterm Titel „Vive la Democratie“: Während wir nämlich Demokratie, Menschenrechte und so fort hochleben lassen und nur noch bissl darauf warten, „dass alle Kleinigkeiten verwirklicht werden / warten wir auf die Zähne von Lumumba“.

SWR-Infos zu “On boit Lumumba”

Thomas Ziegner

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Textes erschien am 21.11.18 im Schwäbischen Tagblatt Tübingen