Gelbe Leuchtkraft und Leidenschaft: Das Yellow String Quartet mit zwei Uraufführungen in Reutlingen
von Kurt Axtmann
Es waren am 8. Dezember in der Reutlinger musica-nova-Reihe nicht nur die Uraufführungen bemerkenswert. Bemessen am Grad kompositorischer Raffinesse war das beste Werk im Programm das erste, 1914 entstandene Streichquartett von Erwin Schulhoff (1894- 1942): Witzig, aggressiv, nachdenklich-melancholisch. Wieder einmal bewährte sich das Konzept von Programmchef Michael Hagemann, nicht nur die „allerneueste Musik“, sondern auch zu Unrecht unbekanntere Werke und darüber hinaus Schlüsselwerke der Moderne zu präsentieren. Dem Yellow String Quartet (Timo de Leo und Konrad Balik, Violinen, Benjamin Hartung, Viola und Friedemann Dähn, Cello) gelang eine lebhafte, CD-reife Interpretation.
Enttäuschend die erste Uraufführung, „transzendieren 4“ für Streichquartett und Live-Elektronik des 1985 geborenen Nikodemus Gollnau. Die Ziffer 4 hinterm Titel lässt befürchten, dass diesem Opusculum drei ähnlicher Machart vorausgingen und weitere folgen könnten. Herrn Gollnau wäre zu sagen, dass die Bearbeitung von Sounds mithilfe von Rechnern und raffinierten mathematischen Methoden wie denen von Fibonacci noch lange keine Transzendenz garantiert. Ebensowenig entstand ein Mysterium, wenn in einem Videoclip rund um etwas im Grunde Banales Nebel waberten. Es kursierte damals der Spottvers: „Wenn die Regie nicht weiter weiß, nimmt sie gerne Trockeneis (als Nebelerzeuger)“. Offenbar wollte der Komponist die babylonische Sprachverwirrung thematisieren. Das Resultat hat kaum höheren Rang als eine leidlich talentierte Schülerarbeit im Leistungskurs Musik. Meinem manchmal zu Sarkasmus neigendem Kollegen von der Tagespresse (Schwäbisches Tagblatt Tübingen) fiel zum Vergleich der mir leider unbekannte „konfuse Zauberer Sputzifurino“ ein.
Reich an kompositorisch-musikalischem Gehalt die zweite Uraufführung, „anonyme Dinge“ für Streichquartett vom 1958 geborenen Cellisten Friedemann Dähn. Er gilt international als einer der experimentierfreudigsten, risikobereitesten Künstler, verwendet oft selbst elektronische Verfahren, kann aber eben auch „unplugged“. „Spento“ (tonlos, stimmlos“) ist die Überschrift des ersten Satzes: Kein einziger traditionell erzeugter Klang kommt darin vor, dafür aber Geräusche verschiedenster Härtegrade und Tonhöhe, von fast bedrohlichem Knarzen über rauhe Schabe- und Reibesounds bis hin zu sanftem Streicheln, geradezu kuschelweich: Man brauchte keine synästhetische Begabung, um hier schier haptische Eindrücke zu empfangen.
Dem althergebrachten Schema leistete Dähn vordergründig Gehorsam: Im zweiten, tradionell meist langsamen Satz („Diviso“) organisierte er starke Kontraste zum ersten. Nun werden alle Klänge traditionell erzeugt, der Tonumfang reicht über vier Oktaven, die zum Schluss Ton für Ton in rasanten Unisono-Flageoletts durchlaufen werden. Die Rasanz nimmt er mit hinüber in den dritten Satz, „Unisono“; sehr schnelle Sechzehntel-Figurationen wirbeln, und ehe es sich das Hörbewusstsein allzu bequem machen kannn, zerstören dazwischengefügte krumme Metren die Perpetuum-mobile-Behaglichkeit. Und wo in vielen Werken namentlich des 18. und 19. Jahrhunderts der Finalsatz als eine Art beschwingter Kehraus fungiert (oftmals leider schwächster Teil des Werks) lässt Komponist Dähn vom ersten Takt an entspannen – hier sogar nicht nur wörtlich zu nehmen, sondern geradezu körperlich. Denn die Streicher erhalten im „Riposo“-Finale die Anweisung, eine Saite kontinuierlich tiefer und immer tiefer zu stimmen. Doch, ein kleines Juwel der zeitgenössischen Literatur für Streichquartett hat das Publikum als Uraufführung erlebt.
Was noch: Ein recht hübsches, aber nicht weiter aufregendes Opus des türkischstämmigen Pianisten Fasil Say („Divorce“), mehrere Zappa-Arrangements (merkwürdig, wie zahm sich seine Sachen anhören, wenn sie für Streichquartett arrangiert werden. Herr Gollnau, helfen Sie) und Strawinskys „Tango“. Tosender Beifall.
Video: „anonyme dinge“: Uraufführung am 8.12.2017