Musik möglichst ohne Sauerkraut

Happy new Ear – Reutlinger Philharmoniker und Klavierduo Grau/Schumacher konzertierten

Von Kurt Axtmann

Andreas Grau (links) und Götz Schumacher in Reutlingen
© Dietmar Scholz

Gar nicht mal so unsympathische Typen tummeln sich da in der Tunix-Bar: ein Boxer, eine Frau in Männerkleidung, eine rätselhafte Rothaarige, die mit dem Kopf eines Polizisten tanzt wie weiland Salomé – Jean Cocteau ließ sich diese Action zur „Le Boeuf sur le Toit“- Rondo- Phantasie von Darius Milhaud einfallen; Während dem Komponisten eher eine Hommage an Charlie Chaplin vorgeschwebt hatte, dessen einfache Filmmusik-Bässe er mit gusto gelegentlich verwendet.

Wundervoll lebhaft und präzise, mit angemessener Verve, interpretierte die Württembergische Philharmonie (WPR) das 1920 entstandene Werk im Neujahrskonzert, unter der Leitung des fabelhaften Dirigenten Fawzi Haimor. Sicher geleitete er das Orchester durch die zahlreichen Tempowechsel, sorgte für ein transparentes Klangbild und ließ nichts am gehörigen Aplomb vermissen. Kein Detail ging im Tutti-Forte unter, kräftig setzte sich das südamerikanische Guiro-Schabe-Rhythmusgerät durch, silbrig blitzte die Piccoloflöte in steigernd angelegten Passagen und die Trompeten schmetterten latino-hell. Weiterführendes zum “Boeuf”

Ebenso erfreulich geriet das Konzert für zwei Klaviere d-moll von Francis Poulenc, 1932 im venezianischen Domizil der bedeutenden Mäzenin Princesse Edmond de Polignac uraufgeführt. Eins der inzwischen wohl weltweit besten Klavierduos, die stets gleichermaßen durchdacht wie virtuos aufspielenden Pianisten Andreas Grau und Götz Schumacher hatte die WPR verpflichtet.

Nahtlos, auch bei risikofreudig schnell genommenen Tempi gelangen die Einsätze, und Dirigent Haimor ließ die wenigen Verlangsamungen („Cedez un peu“) im turbulenten Finale nur sehr diskret andeuten. Oft ist die Verwandtschaft des zweiten Satzes mit dem des d-moll Konzerts von Mozart bemerkt worden. Die Interpretation durchs Klavierduo und die WPR ließ überdies hören, wie eng verwandt Mozart‘sche Motive mit denen von Kinderliedern sein können, die keineswegs übermütig-albern, sonder eher von eigentümlichem Ernst geprägt sind.

Antoine Watteau, “L’Embarquement a Cythere”, Louvre. Eine beschwingte Gesellschaft; Rechts rückt ein ritterlicher Herr schon die Kleidung einer Dame zurecht; und wohlgefällig schaut die Venus-Statue zu.

Tosender Beifall, naturgemäß, und eines der charmantesten Werke der Literatur für zwei Klaviere als Zugabe, Poulencs 1951 komponierte „L‘Embarquement à Cythère – Einschiffung nach Kythera“, die erotisch getönte Offenbach‘sche Heiterkeit aus dessen „Schöner Helena“ atmend, wie von Poulenc gewünscht ohne das geringste Rubato im Geradeaus-Valse-musette-Stil vorgetragen, eine Huldigung ans im Louvre hängende gleichnamige Gemälde von Watteau.

Gerahmt wurden beide hierzulande eher noch selten aufgeführten Werke von Paul Dukas‘ „Der Zauberlehrling“ und Gershwins unverwüstlichem „Ein Amerikaner in Paris“, in staunenswerter, und trotz zwei winziger Ungenauigkeiten im „Zauberlehrling“ mitschnittsreifer Perfektion. Den „Radetzky“-Marsch als Zugabe ersparte das Orchester uns dankenswerterweise, spielte stattdessen noch einen Walzer, „Belle of the Ball“ von Leroy Anderson. “Musik möglichst ohne Sauerkraut”, wollte Erik Satie von Debussy angesichts dessen Begeisterung für Wagner. Satie hätte wohl Programm und Interpretationen applaudiert.