Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl
Hanns Eisler: Komponist, Weltbürger, Revolutionär
Die Maßstäbe setzende Biographie von Friederike Wißmann
Wir Komponisten sollten einmal ernst mit uns reden. Wir tun immer so, als ob wir die Welt verändern könnten. Leider ist das umgekehrt: Die Welt verändert uns.“
Hanns Eisler; statt Komponisten kann man eventuell auch Sozialisten einsetzen
Er hasste das, was er „die Dummheit in der Musik“ nannte, schal Gewordenes, Sentimentales, und er ärgerte sich, dass man auch in der verblichenen DDR den Rachmaninow öfter spielte als ihn, den Hanns Eisler. Er verfertigte die Nationalhymne zu den Versen von Johannes R. Becher („Auferstanden aus Ruinen…“) und ist damit wohl der einzige Komponist, dessen Hymne unterdes der zugehörige Staat abhanden kam. Der staatstragende Becher war etwas nervös, als Eisler die Hymne in kürzester Zeit skizzierte. Der Komponist befand trocken: „Sowas macht man entweder rasch oder gar nicht“.
Lust auf Eislers Werke macht die Biografie, die Friederike Wißmann 2012 zum 50. Todestag des immer noch zu wenig aufgeführten Komponisten vorlegte. Statt sich über lebensgeschichtliche Episoden den Kompositionen anzunähern wählt die Autorin den umgekehrten Weg: Sie charakterisiert kundig und ohne Fachworthagel die Werke, und die relevanten zeitgeschichtlich-biographischen Umstände arbeitet sie ein.
Vorzüglich bewährt sich diese Methode, heute wohl die einzige, in der Künstlerbiographien überhaupt nützlich und goutierbar sind. In vierzehn Kapiteln – eine schöne Huldigung an Eislers kammermusikalische „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ – werden zwölf Hauptwerke des Meisters so eindringlich analysiert, dass man das Fehlen von Notenbeispielen nur wenig bedauert. (Vielleicht sollten des Notenlesens unkundige Leser nicht abgeschreckt werden). Jeder junge Sänger oder Pianist, der sich erstmals mit Eisler beschäftigt, wird von der Lektüre profitieren; ebenso jeder Hörer, der etwa die „Zeitungsausschnitte“ oder das „Hollywooder Liederbuch“ anhört.
Die politischen Wirren, in die Eisler sich einmischte und unter denen er zu leiden hatte (in Hitler-Deutschland, den USA der McCarthy Ära, zuletzt noch in der stalinistisch geprägten frühen DDR) schildert Wißmann bemerkenswert knapp, präzis und unaufgeregt: eine Autorin, die Ambivalenzen zu benennen sich dankenswerterweise nicht scheut. Übrigens: In der frühen BRD wurde Eisler als „Komponist der Spalterhymne“ diffamiert und boykottiert; erst im Gefolge der Studentenbewegung 1968 kam er langsam ins öffentliche musikalische Bewusstsein. Besonders beliebt bei uns, den linkisch die generationenlang versäumte Rezeption Nachholenden, war das „Einheitsfront-Lied“: (Und weil der Mensch ein Mensch ist / drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern…“). Später erst fanden Musiker mit Nähe zum Milieu zur Klaviersonate, den „Zeitungsausschnitten“, dem Hollywooder Liederbuch“ und den „Ernsten Gesängen“; deren Hölderlin-Vertonung mit den Zeilen schließt:
„Und daß mir auch, wie andern, eine bleibende Stätte sei,
sei du, Gesang, mein freundlich Asyl.“
Friederike Wißmann: Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär. München 2012, 300 S
Zur Zeit ist das Buch vergriffen, nur noch vereinzelt antiquarisch oder als E-Book zu haben.
Eine Neuauflage wäre wünschenswert.
Die 1973 in Münster geborene Autorin lehrt Musikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie arbeitete an der Eisler Gesamtausgabe mit und war Herausgeberin von Eislers „Johann Faustus“-Fragmenten. Zuletzt publizierte sie den 500seitigen Großessay „Deutsche Musik“, den wir in Kürze vorstellen werden. Thomas Ziegner