Adorno en canaille behandelt

Unterdessen ist es mit dem Choc aus, und der highbrow hat sich vielerorten als biederer kultureller Advokat der lowbrows etabliert.

Theodor W.Adorno, Antwort an Horst Koegler, Gesammelte Schriften Bd. 18, s.804

 

Von Thomas Ziegner

 

Selbstverständlich hatte der eh gern kräftige Schimpfwörter benutzende Kurt Weill alles Recht zur saftigen Invektive gegen Theodor W. Adorno; höflicher beschwerte der Komponist sich 1942 brieflich beim Philosophen über dessen Anmaßung und Ignoranz – wobei Weill noch da dem Gedankenreichtum und der Integrität Adornos Respekt zollte.

Hatte also Weill alles Recht, sollten die nachgeborenen Musikwissenschaftler und Musiker etwas mehr nachdenken, ehe sie ihrem Ressentiment gegen den schon vermöge seines artifiziellen Stils manchmal allzu sehr die Denkkraft fordernden Philosophen Luft machen. Ja, es ist zuweilen anstrengend, Adorno zu lesen, ja, er verschmäht eine flotte journalistische Schreibe. Ja, seine Schriften sträuben sich erfolgreich gegen ihre übersichtliche Darstellung mittels dezimaler Gliederung, mit guten Gründen. Ja, er fordert und manchmal fühlt man sich überfordert. Und seine Gedanken über Jazz und weitergehend die Kulturindustrie überhaupt haben bei gleichsam intellektuell-pietistisch angekränkelten Lesern oftmals dazu geführt, dass sie ein biss‘l ein schlechtes Gewissen hatten, sobald sie sich an einer Platte von Louis Armstrong oder einem Film mit Humphrey Bogart ergötzten. Gerade noch „Viva Maria“ mit der Bardot und der Moreau ging ohne Gewissenspein durch, weil es sich auch um so etwas wie eine Revolution drehte…Adorno also wurde als der finstere, tierisch ernste Spielverderber imaginiert.

Theodor W. Adorno
Jeremy J. Shapiro, Wikimedia commons

Natürlich war er das nicht wirklich; es ist verbürgt, dass er selbst am Flügel gern Schlager und Operettenschnulzen anstimmte. Dem Jazz-Vibraphonisten Karl Berger verhalf er dem Vernehmen nach zu einem New York Aufenthalt, wohl wissend, dass der dort seine jazzmusikalischen Fähigkeiten auf den neuesten Stand zu bringen hoffte.

Dass seine Notiz, die er 1956 anlässlich der Aufführung von Weills „Street Scene“ im Programmheft des Düsseldorfer Theaters erscheinen ließ nicht hilfreich war, versteht sich. Dass diese Notiz aber „die Rezeption sabotiert“ habe, wie es heißt, lässt sich wohl schwerlich belegen. Naturgemäß formulierte Adorno, mit gewissem Recht, Weill sei nun weniger ein Komponist als vielmehr ein „Musikregisseur“. Die Praxis des Broadway, „Tryouts“ – Versuchsaufführungen in der Provinz zu veranstalten (für New Yorker ist alles außerhalb ihrer Stadt Provinz, selbst Boston) und Nummern mit vermeintlich wenig Zugkraft auszusortieren, lässt ja doch vom emphatischen Begriff des Werks, den Adorno noch vom Oeuvre Beethovens bezog, fast nichts mehr übrig.

Willkommene Verdikte von Journalisten nachgeplappert

Gern wird vergessen (oder ist unbekannt oder den Journalisten eh wurscht, die die ihnen höchst willkommenen Verdikte der Musikwissenschaftler nachplappern; wer’s nochmal tut, wird verhauen), dass Adorno, Schüler von Alban Berg, selbst komponierte. Wer des Notenlesens kundig ist und ein wenig Klavier spielen kann, sollte einmal die „Sept Chansons Populaires Francaises“ des Philosophen probieren. Nach seiner Emeritierung wollte er sich in Wien niederlassen und dort als Komponist etablieren. Weill arbeitete in seinem Todesjahr an einer Oper über Twains “Huckleberry Finn“, Adorno hinterließ Fragmente eben zu jenem Stoff (Walter Benjamin hatte ihm abgeraten).

Horst Koegler, unter anderem auch für die Stuttgarter Zeitung arbeitend, hat dem kulturfürstlichen arbiter elegantiae Adorno 1956 deutlich widersprochen. Wer seine kritischen Theoreme zur U-Musik und deren Sphäre mit dem während der 50er Jahre grassierenden Überlegenheitsdünkel der sich fälschlich zu den Gebildeten zählenden Antiamerikaner gegenüber Schlager, Rockmusik und Comics gleichsetzt, hat nichts von Adorno verstanden. Wirklich widerlegt hat Koegler ihn nicht; das steht noch aus und dürfte gelingen nur, wenn man die in der „Ästhetischen Theorie“ und der „Negativen Dialektik“ enthaltenen Reflexionen zum Werkbegriff weiterdenkt. Hilfreich für eine substantielle Kritik an der Ästhetik Adornos sind Gedanken des Musikwissenschaftlers Peter Sühring, der befand, dass Adorno „die Verwandlung von Musik in Philosophie“ ersehnt habe (Kontinuitätsprobleme der deutschen Musikwissenschaft, S. 141 ff) Sühring: Kontinuitätsprobleme

Sicher nicht hilfreich, eher fahrlässig ist der unverdiente Vorwurf, den Friederike Wißmann nach Art halbinformierter linksgrün-alternativer Sozialpädagogen in ihrem ansonsten fast durchweg unbedingt lesenwertem Buch „Deutsche Musik“,  Deutsche Musik das wir vorgestern hier vorgestellt haben, erhebt: Des Philosophen „Generalabsage an den Musikkonsum ist deshalb problematisch, weil Adorno die Menschen klein macht, die den Schlager mögen“ (S.134). Das ist ein zähes, sagen wir mal, Convenu, das weniger Adorno trifft als die abgefeimten Produzenten der inzwischen ja schier fabrikmäßigen, aus lauter bewährten Einzelteilen zusammen geschmierten Schmarren. Mit einer Hundertschaft von Zitaten wäre Wißmanns Statement zu widerlegen. Hier eins: „Kultur, die dem eigenen Sinn nach nicht bloß den Menschen zu Willen war, sondern immer auch Einspruch erhob gegen die verhärteten Verhältnisse, unter denen sie leben, und die Menschen dadurch ehrte, wird, indem sie ihnen gänzlich sich angleicht, in die verhärteten Verhältnisse eingegliedert und entwürdigt die Menschen noch einmal (Adorno, Ohne Leitbild, S. 62).

Gehirnwäsche für deutsche Kulturwortler?

Hysterisch schließlich mutet der wütende Beitrag an, den vor ein paar Jahren (2015) ein gewisser Herr Dr. Kevin Clarke schrieb, fast greinend sich über den „grimmigen Übervater“ A. enragierte, der die deutschen Kulturwortler (*) einer „Gehirnwäsche“ unterzogen habe, auf dass sie die von Clarke so heiß geliebte Operette nicht hinreichend würdigten. Gisela von Wysocki hat dem Herrn mit mütterlicher Nachsicht, aber deutlich geantwortet. v. Wysocki beruhigt Dr. Clarke

Und sie gibt wertvolle Hinweise:

„Eine Hymne auf die Operette sollte man von Th.W. Adorno nicht erwarten. Wie ein Essay darüber von ihm vielleicht ausgesehen hätte, kann man dennoch vermuten. In diesem Zusammenhang ist der Text über Franz Schubert (1923) aufschlussreich, der das »Potpourri« ins Zentrum stellt. Eine Fundgrube ist die Arbeit über Franz Schreker (1959), dessen Musik in ihrem »unbändigen Glücksverlangen«, so heißt es, die »große« Kunstmusik aus dem Felde schlägt. Das Ganze endet mit dem Satz, »Der Beruf von Schrekers Vater wäre der wahre Titel der Oper, die er nie hat schreiben können: Der Photograph von Monte Carlo«. Das hätte auch der Titel einer Operette sein können.

  • Kulturwortler sind Dramaturgen, Journalisten, Publizisten, kurz, das ganze Gschwerl, inklusive Brouillon.