Before The Fall- Vor dem Fall: Deutsche und österreichische Kunst der 1930er Jahre (1)
This is no time for bystanders. “Before the Fall” reminds us to be vigilant. (Dies ist keine Zeit für Gaffer. „Before the Fall“ erinnert uns daran, wachsam zu sein)
Roger Cohen, New York Times vom 13. April 2018, in seinem Kommentar zum derzeitigen US-Präsidenten, unter der Überschrift: Tethered to a Raging Buffoon (Angekettet an einen tobenden Hanswurst)
Wer wie wir gerade nicht nach New York fliegen kann, um die wohl exzellente Ausstellung „Before The Fall – German and Austrian Art of the 1930s“ zu besuchen, kann sich mit dem gewiss exzellenten, bei Prestel erschienenen Katalog trösten. Aus dem eigenen Bestand und mit vielen bedeutenden Leihgaben präsentiert die Neue Galerie rund 150 Werke, Gemälde, Zeichnungen und Photographien deutscher und österreichischer Künstler. Arbeiten der weltbekannten Maler von Beckmann, Dix, Ernst und Kokoschka sind zu sehen, daneben aber auch viele von heute fast vergessenen Künstlern, die dem Vergleich mit den großen Kollegen meist standhalten. Alle Arbeiten sind im Katalog in vorzüglicher Qualität abgebildet, und die instruktiven (kunsthistorischen Aufsätze sind mit gut gewählten Fotos illustriert, aus denen sowohl zeit-und sozialgeschichtliche wie physiognomische Einsichten zu gewinnen sind.
Über die Hälfte des Bildes beherrscht ein unfreundlicher, feindseliger Himmel, auf den eher der Bildbetrachter blickt, während fast alle der mit meist gleichförmigen Hüten versehenen, quasi uniformierten Figuren, bis auf zwei oder drei Frauen lauter Männer in Trenchcoats, da auf einer leichten Anhöhe stehend, nach vorn in eine dunkle, undeutliche, verhüllte Tiefe schauen, wie in einen verborgenen Abgrund. Kaltweißes Licht im Vordergrund, fahle Farben, Totenblässe fast. Eine verblüffend stimmige literarische Parallele zur Erwartung Oelzes entdeckt der Autor Andreas Huyssen in der Erzählung „Septembergewitter“ des fast vergessenen Dichters Friedo Lampe. Huyssens Essay zur Neuen Sachlichkeit („A Literature of Disentchantment – From Weimar into the third Reich“) bietet eine konzise Zusammenschau von kultur- und sozialgeschichtlichen Essentials der Zwischenkriegszeit und streift auch wichtige Gedanken einiger nicht eigentlich zur Neuen Sachlichkeit zu zählenden Autoren wie Ernst Bloch oder Siegfried Kracauer.
Figuren wie „Der Krieger“ und etwas später „Der Arbeiter“ wurden, auf wechselndem Niveau, von bedeutenden Autoren wie Ernst Jünger verherrlicht. Im Bestreben, den kollektiven Rausch des Kriegseintritts 1914 nach der als schmachvoll empfundenen Niederlage wieder zu erleben, vom „Burgfrieden“ des Kaiserreichs zur „Volksgemeinschaft“ des deutschen Faschismus zu gelangen, schreckte die reichsdeutsche radikale Rechte vor Morden nicht zurück. Freikorps und Schwarze Reichswehr sollten mit den Resten der sans phrase Linken aufräumen. „Make Germany great again – Das Reich sollte neu erstehen“. Faschistische Kulturbünde forderten die Säuberung von Universitäten, Bibliotheken und Museen von abweichenden Gedanken, Schriften und Bildern. Mit Erfolg, sogar schon vor 1933. Es ist einer der vielen Vorzüge im eröffnenden Essay von Olaf Peters, an die Geschehnisse im Land Thüringen zu erinnern, wo die Nazi-Partei ab 1930 an der Regierung beteiligt war.
Weil die kulturellen Errungenschaften der von vielen ungeliebten Weimarer Republik für demokratische Tugenden standen – Pluralismus, Diversität, Ideenreichtum – sollten sie beseitigt und durch der faschistischen Ideologie entsprechende Produkte ersetzt werden. So lehrte die Thüringer Kulturpolitik des Nazi-Innenministers Frick ab 1930, was später in ganz Deutschland und dem okkupierten Europa geschah. Olaf Peters:
„In Thüringen stellte sich das Unternehmen, eine neue kulturelle Ordnung zu etablieren, als ein gewalttätiges heraus. Es bediente sich der Formen von Dekreten, Eingriffen in Museumsbestände (verhasste Werke moderner Kunst wie von Otto Dix und Paul Klee wurden abgehängt), Kunstwerke zerstört (wie die Bauhaus-Fresken von Oskar Schlemmer und seinen Studenten in Weimar), Entlassungen von Professoren und Umwidmung von Universitäts-Lehrstühlen. Die Propaganda und Agitation richtete sich allgemein gegen die Moderne…“
Thomas Ziegner
BEFORE THE FALL
Katalog zur Ausstellung in
Neue Galerie New York
Herausgegeben von Olaf Peters
Gebundenes Buch (engl.), Leinen mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 23,5 x 28,5 cm, 109 farbige Abbildungen, 91 s/w Abbildungen
€ 49,95 [D] | € 51,40 [A] | CHF 69,00* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: Prestel
Erschienen: 15.03.2016