Kulturgebafel: Was Liszt angeblich liederlich fand
Kuriositäten aus der Textsorte Programmzettel
Von Sepp Zeitblom
Horden von Schreibern produzieren Halden von Texten zum Gebrauch in Konzerten und als Beigabe zu CD_Booklets. Wir erfahren, wann die Komponisten geboren und gestorben sind, dass sie zum Zeitpunkt der Schöpfung traurig oder heiter, zuversichtlich oder depressiv waren. Dass sie auf Reisen waren, sich mit Kollegen befreundet oder zerstritten haben. Selten, aber doch ab und zu,finden sich erhellende Gedanken zum Werk und seiner Entstehungsgeschichte, seinem materiellen und geistigen Umfeld.
Es überwiegt aber das Kulturgebafel. Infohäppchen aus der Sparte Trivial Pursuit, Antworten auf auf Fragen, die nicht prioritätr zu stellen sind wie: Wo hielt sich Beethoven auf, als er die Pathetique konzipierte und was aß er zu Mittag. Meist werden die Bemerkungen zu den Werken lax kompiliert, aus vielleicht zwei Konzertführern entnommen, ein Satz aus einem CD-Booklet hinzugefügt -fertig. Und einer schreibt‘s vom andern ab und wenn‘s schlecht läuft, findet sich das ganze Gesums, nochmals verdünnt, nach dem Konzert in der Lokalpresse als Expertenmeinung wieder.
Beim Kompilieren gibt‘s zuweilen Unfälle. In einer kleinen südwestdeutschen Universitätsstadt, deren universitär betreute Konzertreihe die nach 1945 entstandene Musik seit Jahrzehnten und immer noch souverän ignoriert, schrieb der Programmzettelautor über Liszts zweite Ungarische Rhapsodie, die sei halt etwas „liederlich“, so wie der Herr Liszt seinerzeit halt die Zigeunermusik empfunden habe, als „liederlich“. Nun gab es im 19. Jahrhundert keinen besseren Kenner der Zigeunermusik als Liszt. Wahre Hymnen hat er ihr gewidmet. Wie kommt also der Zettelschreiber zu seinem offenbar idiotisch falschen Diktum? Absicht oder Unvermögen? Sagen wir, eine Verkettung unglücklicher Umstände. Er hat das abwertende Attribut aus einem CD-Booklet des Naxos Labels übernommen. Der Originaltext war Englisch, und der Verfertiger der deutschen Fassung wählte halt aus den vielen Synonymen das unpassende, idiotisch-falsche.
Vor Jahren stand auf dem Programmzettel für die viel progressivere Konzertreihe der benachbarten südwestdeutschen Bischofsstadt eine seltsame Bewertung des zweiten Satzes der xten Klaviersonate Prokofjews: „Abgedroschen“ klänge das. Auf Befragen räumte der Autor ein, dass er das Werk nie gehört, aber das Urteil aus verlässlicher Quelle abgeschrieben habe, nämlich aus Reclams Klaviermusikführer. Der aber wurde jahrzehntelang vom Nazi Werner Oehlmann herausgegeben, und erfreute sich einiger Beliebtheit beim gutbürgerlichen Publikum, das Oehlmannns Wertungen unbesehen übernahm.