Aus der Heimat hinter den Blitzen rot

In der neuen Debatte um nationale Identität, kulturelle Identität, eigene Kultur, fremde Kultur etc. spiegelt sich nichts weiter als der profane und banale Verdrängungswettbewerb, in welchen die Menschen durchs Kapitalverhältnis getrieben werden.

Wolfgang Pohrt 1985, Linke und Ausländerpolitik; in Werke Band 5.1, Edition Tiamat, Berlin 2018, S. 65

 

Heimat und Identität – reizvoll faschistoid schimmernde Brauntöne des Heimatministers – Linksgrüne pflegen Abstammungsmarotten –Der deutsch-jüdische Verbrüderungskitsch –

 

Von Sepp Zeitblom und Thomas Ziegner

 

Wer annimmt, die grassierenden, behaglich vagen Vorstellungen von “Identität”, nationaler, kultureller gar, seien frisch, wird erleichtert oder erschreckt erfahren, dass sich Rechte wie Linke hierzulande doch schon recht lange damit herumplagen, jene mehr oder weniger verhohlen eine rein deutsche Leitkultur fordern, diese ein oft merkwürdig infantil anmutendes “Multikulti’ idealisieren. Mag im Zweifel auch Letzteres vorzuziehen sein: Beide wären auf Hegels Erwägung hinzuweisen, dass Identität ohne Identität von Identität und Nichtidentität nicht zu haben ist. Aber das ist vielleicht zu dialektisch. Aber unzweifelhaft deutsch. “Deutscher Idealismus” wurde einmal mit verhaltenem Stolz eine philosophische Schule genannt, deren Substanz die Werke von Kant, Fichte, Schelling und Hegel bildeten.

Einer ihrer Schüler, der überdies Werke des prominentesten Junghegelianers namens Marx und die der auf ihm aufbauenden Denker Adorno und Horkheimer rezipierte, ist Wolfgang Pohrt. Auf die entstehende Gesamtausgabe seiner Schriften haben wir hingewiesen.Wolfgang Pohrt: Linker Kritiker der Linken  

Kürzlich nun hat der Verlag den Band 5 in zwei Teilbänden ausgeliefert. Rechtzeitig, darf gesagt werden.

Während der amtierende Heimat- und Innenminister der Großen Koalition eine Redewendung des ruhmreichen Pressechefs von Saddam Hussein, dem „Comical Ali“ aufgreift, der gern von der „Mutter aller Schlachten“ sprach – der das Wohl des Freistaats Bayern mit dem Wohl der CSU identifizierende Herr Minister sprach von der „Migrationsfrage“ als der „Mutter aller politischen Probleme“ – während er also vor der weißblauen Landtagswahl noch etwas reizvoll faschistoid schimmernde Brauntöne aufschminkt – er ist ja kein Rassist, dazu hat er ja wie viele AfDler auch den Roberto Blanco viel zu gern –

während die derzeit Regierenden, die schon lange schwer an ihrer Verantwortung tragen, zumal sie in jüngerer Zeit von den Konsequenzen ihrer jahrzehntelang fortwurstelnden Politik total überrascht sind – wo kommt auch plötzlich der Ärzte-Pfleger-Lehrer-Polizisten-Wohnungs-Mangel her, wohl über uns hereingebrochen wie die Heilige Nacht nach dem Vierten Advent –

während sich die dahinsiechende Sozialdemokratie um fesche Themen kümmert wie die die LSBTQ – Regeln und Rechte und eine grüne Spitzenpolitikerin namens Claudia Göring-Hofreiter allen „Schmetterlingen und Vögeln“ versichert, dass „wir auf ihrer Seite stehen“

während schwer besorgt kommentiert wird, dass sich in der ja schon bissl widerwärtigen Rechtsaußen-Partei eine Gruppe namens „Juden in der AfD“ formiert, was den Rechtsintellektuellen Michael Klonovsky zur zunächst als abgründig sarkastisch, nach kurzer Denkpause aber als recht adäquat erscheinenden Formulierung inspirierte, die Kritik daran zeige: „Die Zeiten, in denen sich Juden in Deutschland praktisch alles erlauben durften, sind allmählich vorbei /…)

währenddessen also erscheint die neue Lieferung der Wolfgang Pohrt Werkausgabe. Und siehe, seine Glossen und Essays sind unvermindert aktuell, ganz so, als hätt‘ sich seit den Achtziger Jahren nix geändert. Und Vieles hat er eh‘ vorausgewusst.

Drei Phasen „in der Entwicklung des deutschen Heimatgedankens seit 1945“ unterscheidet er:

Zunächst herrschte allgemeine Heimatlosigkeit: 1945 sind „die Flüchtlinge heimatlos, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Einheimischen sind heimatlos, weil man ihnen Flüchtlinge einquartiert hat und sie sich im eigenen Heim deshalb wie Fremde fühlen. Alle zusammen sind heimatlos, weil das Reich zusammengebrochen ist.“

Nicht zu vergessen:„Mit dem Titel „Heimatlos“ auf Polydor wird Freddy Quinn zum beliebtesten deutschen Schlagersänger“.

Zweite Phase: Es haben alle ihre Heimat gefunden:„Die Reichen im Tessin, die Rentner auf Mallorca, die Urlauber in Spanien, die Akademiker in der Toscana, die Freaks in Indien, die Aussteiger in Griechenland, die Linken auf Kuba“.

Es schrumpft der Horizont im Gefolge der ersten Ölkrise: „1978 erscheint ein Bodenseebuch mit dem keineswegs ironisch gemeinten Titel ‚Heimatlob‘. Lobredner: Martin Walser. (…) Der Jahreskongress der ‚Deutschen Gesellschaft für Volkskunde‘ steht unter dem Motto ‚Heimat und Identität‘. 1979 ist ‚Heimat‘ Aufmacher im Kulturteil des ‚Spiegel‘. Was Umweltschützer, Protest- und Alternativgruppen emotional bindet, so fand die Frankfurter Ethnologin Ina-Maria Gervinus heraus, ist die ‚Suche nach Heimat‘. (…)

 

Es muss das auch schon in den Achtziger-Jahren gegeben habe, dies Herumreiten auf der Abstammung, dies Lechzen nach einer Kollektivzugehörigkeit; dass es darüber hinaus etwas Ehrenrühriges hat, ohne Umschweif einer „Alterskohorte“ oder einem „Milieu“ zugerechnet zu werden, wird selbst unter Intellektuellen kaum noch empfunden. Denen geschieht es freilich recht. Pohrt glossiert es unterm Titel „Der deutsch-jüdische Verbrüderungskitsch – Über Sudetendeutsche, Roma, Sinti, Oberschlesier“ mit einiger Vehemenz. Und er diagnostizierte:

„Auch diese Beschwörung von Blutsverwandtschaft und Familienbanden dient erkennbar dem Zweck, die faktische Nivellierung von Leuten zu vertuschen, die sich auch Sannyasin oder Nuba nennen könnten, ohne deshalb etwas anderes zu werden als das, was alle sind, nämlich vom bundesrepublikanischen Konformitätsdruck erzeugte Einheitsmenschen mit einheitlicher Sehnsucht nach Einzigartigkeit, nach Abgrenzung und Identität.“

Wir können hier Pohrts plausible Ableitung der Abstammungs- und Identitätsmarotten auch im links-grünen Milieu von den Nürnberger Rassegesetzen nicht ausführlich referieren, zitieren dafür einen gut gebauten, gut gedachten, langen Satz im Zusammenhang:

Wenn man neuerdings mit beflissener Pedanterie nicht mehr von Zigeunern spricht, sondern von Sinti und Roma, die ebenso gut Bantu und Nuba heißen könnten, weil kein Mensch den Unterschied kennt, mit Ausnahme von Leni Riefenstahl und den Experten für Abstammungslehre aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt selbstverständlich; wenn die Grünen Vergangenheitsbewältigungsveranstaltungen gern in der Form einer Rassekatzenschau organisieren, bei welcher auf dem Podium ein Sinti/Roma, ein Jude und ein weiterer Teilnehmer sitzt, der zwar neutral als Deutscher firmiert, aus Gründen der Logik aber den Arier spielen müsste, weil die beiden anderen auch Deutsche sind, und weil man nie Äpfel und Birnen und Obst zusammenzählen darf, sondern nur Äpfel und Birnen und beispielsweise Pflaumen; wenn kleine Gruppen ermuntert werden, die Identitätsmarotte der Mehrheit zu übernehmen, welche den Minderheiten keineswegs uneigennützig Entwicklungshilfe leistet, sondern welche Sinti, Roma, Juden produzieren muss, um sich selber als rein deutsch zu fühlen; wenn man versprengten Individuen, deren Eltern Zigeuner oder Juden gewesen sein mögen, die selber aber meist friedensbewegte, ökologiebewusste Bundesbürger mit der landesüblichen Schwäche für Folklore sind, förmlich dazu drängt, sich Sinti, Roma,Juden zu nennen; wenn man es aus den versprengten Individuen herauslockt, dass sie sich als deutsche Juden bekennen, obwohl dies seit der Vernichtung der deutschen Juden absurd ist, weil Zuordnungsbegriffe, die den einzelnen unter ein Kollektiv subsumieren, objektiv sinnlose Bestimmungen werden in dem Moment, wo das Kollektiv nicht mehr existiert: Franzose, Katholik oder deutscher Jude ist man nur als einer von genügend vielen, und ein Engländer wäre nach dem Untergang Englands eben keiner mehr, sondern bis zum Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit ein Staatenloser; wenn einzelnen eingeredet, sie seien kraft Abstammung und Herkunft verschieden, obgleich die Nachkommen polnischer Einwanderer, die im Ruhrgebiet und in Berlin einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung bilden, keine schlechteren Nazis waren; wenn also die Mehrheit einzelne in ihren Abstammungsmarotten bestärkt, unter dem Vorwand, Minderheiten zu begönnern – dann liegt der Verdacht nahe, dass die Mehrheit nur einen unverfänglichen Weg sucht, jenes Abgrenzungs- und Ausgrenzungsrecht für Kollektive zu proklamieren, welches sie dann als das ihre beanspruchen wird, um es gegen die Minderheiten anzuwenden.

Weil es gar zu schön ist, und weil Ernst Blochs schöne Sentenz über das, was Heimat sei, mittlerweile von Heimattümlern überstrapaziert ward, Verse von Eichendorff, die manchen über die Balkanroute oder übers Mittelmeer hier Gestrandeten irgendwann näher sein dürften als Biodeutschen:

In der Fremde

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.

Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauscht die schöne Waldeinsamkeit,
Und keiner kennt mich mehr hier.

 

 

Critica Diabolis 260
Hardcover
360 Seiten
26.- Euro
ISBN 978-3-89320-236-2

Mit einigen seiner Arbeiten aus »Zeitgeist, Geisterzeit« Mitte der achtziger Jahre hat Pohrt heftige Debatten ausgelöst, wie z.B. mit seinem Artikel »Der deutsch-jüdische Verbrüderungskitsch«, der in der taz eine Leserbriefflut ausgelöst hat. Außerdem geht es u.a. um die Amnestie der RAF-Gefangenen, über die Wiederkehr des Begriffs Heimat, über die heute wieder aktuelle Debatte »Linke und Ausländerpolitik«, den Mythos des »anderen Deutschlands« und um einige Nachwuchsspießer in der Literatur, sowie unveröffentlichte Texte.

Pressestimmen

»Wolfgang Pohrt hat funkelnde Marksteine in die Landschaft des Block-Konformismus gesetzt: mit boshaft zugeschliffenem Witz, der ohne Rücksicht auf die unabgesprochenen Sprachregelungen das scheinbar Tiefsinnige als Gefasel im Gewande der marktgängigen Gesinnung entlarvt. Ein Zögling der Frankfurter Schule und superber Marx-Kenner, hat Pohrt eine eigene, brillant-pointierte Sprache entwickelt.« (Josef Joffe, Süddeutsche Zeitung)

Wolfgang Pohrt in der Edtion Tiamat