Nicht so leicht zu zähmen: Dieter Schnebel zum Gedächtnis
Heinz-Klaus Metzger notierte an einer geistlichen Komposition der letzten Zeit, ihr Kunstgriff bestünde darin, >den geistlichen Charakter von Musik in diese selbst: in ihre technische Komplexion zu verlegen<, wie anderswo fast analog politische Gehalte.
Dieter Schnebel, Geistliche Musik heute, in : Anschläge-Ausschläge, München 1993, S. 254
Er gehörte zu den Wenigen, die nach dem II. Weltkrieg in Deutschland geistliche Musik, deren Problematik reflektierend, von Rang schrieben, liturgisch verwendbar, allerdings die Liturgie selbst sanft modifizierend. Rund um seinen 75. Geburtstag (2005) erarbeitete er mit Musikern der Rottenburger Hochschule für Kirchenmusik die Uraufführung seiner „Aschermittwochsmusik“, einer Auftragskomposition für den Rottenburger Bischof Gebhard Fürst.*
Er arbeitete gern mit Musikern, begriff sich als Komponist und als Animateur – ein Beseeler; er lebte und vermittelte in der Probenarbeit mit Profis und Amateuren – er betonte die richtige Übersetzung: Amateure sind Liebhaber -dass:
Das Neue ist ein noch nicht Dagewesenes; es hat etwas Zartes, Leuchtendes und fasziniert. Weil es nicht vertraut ist, mag es aber auch erschrecken, ja schockieren.
Und er wußte, es
„kann neue Musik, neue Kunst – auch neues Leben nicht gelehrt werden; es gibt hierfür keine Pädagogik und Didaktik“.
Gleichwohl:
„…läßt sich pädagogisch und didaktisch der Sinn fürs Neue stimulieren und fördern. Freilich doch nicht so sehr als Lehre -z. B. in frontalem Unterricht, wo sich Musikgeschichte und Analysen ganz gut vermitteln lassen – als in Kommunikation.“**
Er war überzeugt, und er bewies es in praxi: „ ‚Liturgische Fesseln‘ müssen nicht sehr drücken. Die Musik ist eine Kunst, die nicht so leicht zu zähmen ist.“ Angesprochen auf die Warnung von Kardinal Ratzinger (damals Chef der Glaubenskongegration, später Papst Benedikt) vor „Ekstase“ im Gottesdienst antwortete Schnebel: „Nun, zu warnen ist sein Beruf“. (Hier wäre Heines Bonmot mitzudenken:“Dieu me pardonnera, c‘est son metier). „Aber denken Sie nur an Perotin, dessen frühe Vierstimmigkeit Anstoß erregte.“
Er ließ sich gern überraschen, im Prozess der Komposition und vom fertigen Werk. Nach der Generalprobe der Aschermittwochsmusik in Rottenburg rief er aus:
„Das ist ja der reinste Charles Ives!“ Wie der Urvater der amerikanischen musikalischen Moderne nämlich lässt Schnebel passagenweise Ensembles wie unverbunden neben einander her musizieren. Eine Choral-Schola intoniert ehrwürdig alte gregorianische Formeln, ein gemischter Cor artikuliert scharf profiliert die Wendung „In Sack und Asche“. Dazu gesellen sich meist klare motivische Prägungen der Orgel, oft wie in einer Misterioso-Hülle vom Schlagzeug.
An Verfahren von Erik Satie erinnert das instrumentale Vorspiel von Orgel und Schlagzeug, alle religiöse Grandeur vermeidend, in konzentrierter Pauvreté. Knirschend mahlende und an das Knistern von Feuer gemahnende Sounds kommen vom Schlagzeug; die kunstvollen rhythmischen Figurationen werden später vom Vibraphon und vom Chor wieder aufgenommen, von ihm mit semantischem Gehalt aufgeladen. „Satie bewundere ich auch als einen genialen Konstrukteur“, sagte Schnebel während einer Probenpause und erzählte von seiner Teilnahme an einer Aufführung der legendären „Vexations“:“Wenn man sie selbst auf der Orgel spielt, gerät man in eine Art Trance.“
Dass die gregorianischen Gesänge mehr sein können als ein bloßes Beruhigungsmittel, zeigte Schnebels zugleich rettender und protestierender Zugriff, der Zeitsprünge wagte, ohne in Beliebigkeit abzustürzen, am Ende auch noch in einem wundervollen Altsolo die Sphäre synagogaler Musik einbezog.***
*Der Verfasser genoss das Privileg, während einer Woche bei den Proben zuzuhören.
**Dieter Schnebel, Anschläge-Ausschläge, München 1993, S. 11 f
***Thomas Ziegner: Rettung und Belebung durch protestierenden Zugriff: Zur Uraufführung der Aschermittwochsmusik von Dieter Schnebel, Musica Sacra, März/April 2005, S. 15 f
Thomas Ziegner