„Objektivierte Obsessionen“: Der legendäre Kurator Kasper König in der Kunsthalle Tübingen
Von Wolfgang Albers
Kasper König hätte die Kunsthalle Tübingen gerne besucht, damals, als ihre Ausstellungen Hunderttausende anzogen. Aber die Anreise war ihm zu teuer: „Ich hätte ja von Amerika herüberfliegen müssen.“ Inzwischen lebt der Mann, der einer der großen Gestalter der zeitgenössichen Kunst ist, in Berlin – der Weg nach Tübingen war also deutlich kürzer. So hat es jetzt doch geklappt. Kürzlich war Kasper König in Tübingen und sprach dort auch auf Einladung von Kunsthallendirektorin Nicole Fritz mit ihr über Kunst, Karriere und die Kollegen.
Gut, der Mann hat auch viel zu erzählen. Kasper König hat weltweit Ausstellungen gemacht, war Hochschullehrer in Düsseldorf und Frankfurt, hat das Kölner Museum Ludwig geleitet und ist Mitbegründer der Münsteraner Skulpturen-Schau. Was überhaupt als Kunst gilt – für diese Frage gilt er als einer der entscheidenden Antwortgeber. Das Faszinierende an dieser Vita ist: Was nach geplant und folgerichtig klingt, war in Wirklichkeit gebrochen und von abrupten Wechseln geprägt. Klar, mittlerweile plaudert der 74-Jährige, der mit Hosenträgern, Schlaghose und Sandalen in die Kunsthalle kam, ganz entspannt über diese Zeit.
Die Schule zum Beispiel: ein einziges Desaster. Erst humanistisches Gymnasium mit dem vollen Programm von Hebräisch bis Griechisch, dann der Abstieg zu einem normalen Gymnasium, schließlich die Abschiebung ins Internat. Und ein Jahr vor dem Abitur meldete er sich ab – ein Schulabbrecher mit 18 Jahren, der seine weitere Qualifikation jetzt selbst in die Hand nahm: „Ich war zeitlebens ein Autodidakt.“ Freilich ein sehr lernwilliger: Bücher, Ausstellungen, Museen – Kasper König hat alles in sich eingesogen.
Er wollte selber wissen, er wollte selber sehen. So ist er als 14-Jähriger aus seinem münsterländischen Dorf nach Frankfurt getrampt – zum Auschwitz-Prozess. Überdies hat es den Sohn aus einer gutsituierten Kaufmanns-Familie immer ins Ruhrgebiet gezogen: „Das hatte so eine proletarische Kraft.“
So ist er auch zur Kunst gekommen. Ein Schulausflug hatte ins renommierte Essener Folkwang-Institut geführt, aber dort hing auch das Plakat einer Firma mit expliziten Darstellungen der Sexualorgane: „Dass man so etwas darzustellen wagte!“
Kurz darauf setzte er sich nach London ab: Den Wehrdienst hatte er verweigert, Ersatzdienst wollte er auch nicht machen. Und damit er nicht ausgeliefert wurde, änderte er seinen Vornamen. Richtig hieß er Rudolf, wie der Balletttänzer Nurejew, der homoerotisch angeschmachtet wurde. Kasper König, der ein Talent hatte, in berühmtere Kreise vorzustoßen, hat das miterlebt. Und ihm ging das süßliche Rudolf, mit dem Nurejew angeredet wurde, so auf die Nerven, dass er dem ein knappes, hartes Kasper entgegen setzte.
Ein Leben voller Arbeit und Anekdoten. Wie auf seiner nächsten Station, New York. Von dort aus machte er für Stockholm eine Ausstellung mit Warhol-Werken – und zwar eigens für die Ausstellung geschaffenen. „Völlig naiv“ sei er da ran gegangen. Und es war vermutlich genau deshalb ein Erfolg – der Katalog hat sich, das hat der Kaufmannsspross genau parat, 340 000 Mal verkauft. Und der Factory-Guru, wie war er? „Ein extrem anonymer Mensch, er hat kaum etwas gesagt.“
Kasper König ging weiter seinen Weg. Nahm eine Zeitlang ausgiebig Drogen („plötzlich war das wieder vorbei“) und setzte mit seinen Projekten Gegenpole. Als mit den Staufer-, Preußen- und Wittelsbacher-Ausstellungen Herrscherdynastien gehuldigt wurde, setzte er die Kölner „Westkunst“ dagegen.Und er ging sogar nach Münster zurück (was er, außer zu Weihnachten, nie wollte), als die Universität eine Henry-Moore-Plastik ablehnte. Dagegen entstand die Skulpturen-Schau, heftig von der Ortspresse angefeindet. Typisch ist auch, wie sie zustande kam.
Es war der dortige Museumsmacher Klaus Bußmann, der ihn köderte: mit einem stilvollen Essen in Paris („Über Ästhetik und Schönheit kam meine Beziehung zur Kunst“) und dem Münsteraner Netzwerk, dem auch Kasper König sich nicht entziehen konnte. Seine Mutter und die von Klaus Bußmann waren im gleichen Kirchenverein, und ihre beiden Schwestern waren befreundet.
So einer schaut sich die Tübinger Kunsthalle ganz abgeklärt an. Findet schön, wie sie in einem wenig glamourösen 60-er-Jahre-Wohngebiet liegt. Hat schon früher registriert, welches Profil Götz Adriani geschaffen hat („aber er war wohl ein humorloser Mensch“). Und fängt mit der gegenwärtigen Ausstellung nur bedingt was an: „Ich habe überhaupt keine Beziehung zum Hyperrealismus.“
Aber dann entdeckt er doch wieder Bezüge zu seinem Leben, als er die Veilhahn-Plastik eines nackten roten Reiters sieht. Sie zeigt den Architekten Richard Neutra, der sich gerne unbekleidet aufs Pferd setzte. Natürlich kennt Kasper König auch ihn über einige Ecken: „Der hat perfekte Bungalows gebaut, Häuser mit einer Haut aus Glas. Und er war immer perfekt maßgeschneidert angezogen und sehr elegant im Auftreten.“
Klar, die Künstler sind ihm schon vertraut. Gregor Schneider etwa, der die ärmlich gekleidete „Alte Hausschlampe“ in ein Eck abgelegt hat und mit dem Kauf des Geburtshauses von Goebbels Aufsehen erregt hat: „Der ist wirklich balla-balla, der hat eine Meise.“ Dann fügt er anerkennend an: „Er schafft es, Obsessionen zu objektivieren und schafft so Kunst.“ Insofern sei eine Aufmerksamkeit erregende Ausstellung kein Fehler. Taugt auch als Rezept für die Kunsthalle, sagt Kasper König. Sein Vorschlag an Nicole Fritz: „Alle eineinhalb Jahre einen Hammer machen – und dazwischen rumspinnen.“
Am Publikum werde es nicht fehlen: „Ich glaube, dass die Museen in Zukunft immer wichtiger werden. Die Leute entdecken sich dort selber. Die visuelle Information wird immer bedeutender.“